Die Bau- und Immobilienwirtschaft stellt sich immer besser auf die Veränderungen ein, die die Digitalisierung mit sich bringt. Doch noch fehlt das Verständnis für komplexe Zusammenhänge. Das zeigen die Ergebnisse der diesjährigen Digital-Real-Estate-Umfrage des Consultingunternehmens pom+. Die rund 200 Führungskräfte, Immobilienexpert*innen und -spezialist*innen aus der Schweiz und Deutschland schätzen ihre eigene Digitalisierungsreife zum zweiten Mal in Folge moderat besser ein als im Vergleich zum Vorjahr.
Die Digital-Real-Estate-Umfrage erhebt seit 2016 jährlich den Stand der digitalen Transformation der Bau- und Immobilienwirtschaft in der Schweiz und seit 2019 auch in Deutschland. Das Whitepaper präsentiert die Ist-Situation in den beiden Ländern basierend auf den Einschätzungen von verschiedenen Führungs- und Fachkräften aus der Branche und wird durch das Expertenwissen von Berater*innen der pom+ Consulting AG ergänzt. Der Digital Real Estate Index (DRE-i) misst andererseits, in welchem Ausmass sich Immobilienunternehmen mit der Digitalisierung auseinandersetzen und welche Massnahmen sie umsetzen. Basis für die Berechnung bilden 25 Indikatoren in fünf Clustern und zwölf Technologien. Auf einer Skala von eins bis zehn wird die aktuelle Digitalisierungsreife über den gesamten Markt beurteilt. Der Digital Real Estate Index für die Schweiz und für Deutschland liegt bei 4.5 und ist somit innert Jahresfrist um 0.3 Punkte gestiegen. Der Index für den deutschen Markt liegt erneut einen halben Punkt höher (4.9) als derjenige für die Schweiz (4.4), die Unterschiede haben sich aber nicht weiter akzentuiert. Der Index steigt damit das zweite Jahr in Folge an, hat aber das Niveau von 2019 noch nicht erreicht. Die Befragten sehen jedoch eine positive Entwicklung, denn es zeigt sich, dass die Branche in Bewegung ist. Auch die im vergangenen Jahr verursachten Schwierigkeiten durch die COVID-19-Pandemie und Unsicherheiten in den Lieferketten konnten die Zuversicht nicht bremsen, ganz im Gegenteil: Diese Faktoren werden der Digitalisierung in der Bau- und Immobilienbranche mittelfristig in die Hände spielen. So waren die meisten Unternehmen gezwungen, ihre Infrastruktur für Home-Office-Arbeitsplätze auszubauen und Kollaborationslösungen einzuführen. Schwierigkeiten in der Lieferkette bedingen höhere Flexibilität, womit agile Organisationsformen und Prozesse an Bedeutung gewinnen.
Digitalisierungsgrad gleicht sich an
Betrachtet man die einzelnen Akteur*innen der Branche im Detail, ergibt sich folgendes Bild: Der Reifegrad von Planer*innen und Ersteller*innen ist unverändert zum Vorjahr, während der Index in der Bewirtschaftung leicht zurückging und im Facility-Management etwas höher liegt als im Vorjahr. Eigentümer*innen und Investor*innen holten im vergangenen Jahr den Rückstand auf und haben aktuell nur noch einen geringfügig tieferen Index als die anderen Akteur*innen. «Durch die zunehmende Regulierung im Bereich Nachhaltigkeit sind die Besteller*innen vermehrt auf spezifische Informationen und Daten zu ihren Immobilien angewiesen. Das Interesse an Lösungen zur Datenerfassung und -analyse ist hoch, da auf diese Weise entsprechende Fragestellungen beantwortet und notwendige Nachweise erbracht werden können», erklärt Dr. Joachim Baldegger, Studienleiter und Head of Service Unit Future Lab bei pom+.
Kompetenzaufbau auf allen Ebenen
Digitalisierungsstrategien haben an Bedeutung gewonnen. Dementsprechend haben die Unternehmen im vergangenen Jahr verstärkt die digitalen Fähigkeiten von Führungskräften gefördert. Offenbar wird erkannt, dass die digitale Transformation eine Führungsaufgabe ist und nur erfolgreich umgesetzt werden kann, wenn entsprechende Fähigkeiten auch auf dieser Ebene vorhanden sind. Der Kompetenz-und Wissensaufbau findet aber auch bei den Mitarbeitenden statt, wie die Resultate klar zeigen. Die Verantwortlichkeiten bezüglich digitaler Transformation sind immer klarer geregelt. Es werden häufiger eindeutig bezeichnete Personen oder Teams mit unternehmensweiten Innovations- und Digitalisierungsinitiativen betraut. Diese Bündelung erlaubt schnellere und vor allem auch aufeinander abgestimmte
Entscheidungen.
Insgesamt scheint im Bau- und Immobiliensektor die Erkenntnis gereift zu sein, dass Digitalisierung ein kontinuierlicher Prozess ist. Die Diskussionen in der Branche werden immer spezifischer, neue technologische Dimensionen kommen hinzu und die inhaltliche Komplexität steigt laufend. Die Übersicht und das Verständnis für die Zusammenhänge fehlen noch an vielen Stellen. Es ist daher zu erwarten,
dass sich neue Berufsbilder und Disziplinen wie die Immobilieninformatik herausbilden, um diese Lücken zu schliessen.
Digitale Technologien nach wie vor unausgereift
Obwohl theoretisch immer mehr möglich wird, scheint der Alltag vieler Branchenakteur* innen noch immer von analogen Dingen geprägt. Die in der Anfangseuphorie ausgemalten Optimierungen und Effizienzgewinne lassen auf sich warten. Als Folge davon wird die Reife der digitalen Technologien von der Branche seit Jahren als stagnierend beurteilt, obwohl der Nutzen oftmals als hoch eingeschätzt wird. Die verschiedenen Technologien werden tendenziell isoliert betrachtet, haben aber meistens einen Zusammenhang. Smart Buildings führen viele Technologien zusammen und könnten Lösungswege bieten, um mehrere digitale Technologien gleichzeitig in der Reife voranzutreiben. Eine weitere Ursache für die Stagnation dürfte das Fehlen von entsprechenden Fachkräften sein. Dieser Mangel wird sich in Zukunft eher noch verstärken. Zum einen führt die demografische Entwicklung zu einem Rückgang an Arbeitskräften, zum anderen schaffen die regulatorischen Vorschriften eine gute Auftragslage (Heizungsersatz, Wärmedämmung, Photovoltaik-Zubau und Weiteres), die mehr personelle Ressourcen beansprucht. Damit dürften digitale Weiterbildung und erfolgreiche Bindung der Mitarbeitenden an das Unternehmen künftig entscheidende
Wettbewerbsvorteile darstellen.
Eine vielversprechende Entwicklung
Smart Buildings sind Teil unserer vernetzten, mobilen und nachhaltigen Welt von morgen. Sie ermöglichen die dichte, intensive und kollaborative Nutzung von Liegenschaften bei gleichzeitig hohem individuellem Komfort. Die digitalisierte Gebäudetechnik tritt dabei in den Hintergrund und stellt nahtlose und ergonomische Nutzer- und Bewirtschaftungsprozesse bereit. Aufgrund der Integration einer Vielzahl von Technologien der Digitalisierung könnten Smart Buildings der Branche einen bedeutenden Schub verleihen. Dieser Trend wird von allen Befragten als sehr relevant beurteilt. Sowohl der Einfluss auf das eigene
Unternehmen als auch die Auswirkungen auf die Branche werden als hoch bis sehr hoch eingestuft. Zudem wird ein zeitnaher Impact erwartet. Andere bedeutende Trends wie Cybersecurity und Dekarbonisierung werden der Bau- und Immobilienwirtschaft tendenziell von aussen durch Vorgaben und Regulierungen aufgedrängt. «Smart Buildings hingegen sind eine Entwicklung aus der Branche heraus. Der damit verbundene Eigenantrieb könnte dazu führen, dass die digitale Transformation der Bau- und Immobilienwirtschaft einen bedeutenden Schritt vorwärts macht», so Baldegger.
Risikobewusstsein im IT-Umfeld
Die Corona-Pandemie bewegt die Bau- und Immobilienbranche auch noch zwei Jahre nach Ausbruch. Der im Zusammenhang mit COVID-19 vielzitierte Digitalisierungsschub ist über weite Teile zwar ausgeblieben, doch geben 52 Prozent der Befragten an, dass die Corona-Krise dazu führte, dass die IT-Infrastruktur für mobiles und kollaboratives Arbeiten weiterentwickelt wurde. Entsprechend hat auch die Migration zu Cloud-Lösungen stark zugenommen und neue Fragen der Sicherheit aufgeworfen. Viele Unternehmen bewerten heute ihre potenziellen IT-Risiken und suchen Lösungsansätze zur Reduktion derselben. Denn eines wird immer klarer: Mit dem laufenden Auf- und Ausbau der Datenbestände geht auch die steigende Verantwortung einher, diese Daten zu schützen. Zudem bilden die Datenbestände ein wichtiges Asset, mit dem verschiedene Haftungsrisiken verbunden sein können. Die in jüngster Zeit aufgetauchten Sicherheitslücken in Systemen des Gesundheitswesens oder der Rüstungsindustrie und das damit verbundene mediale Echo demonstrieren eindrücklich, was die Folgen der Vernachlässigung dieser Risiken sein können.
Neben dem stetig steigenden Risikobewusstsein gegenüber Datenbeständen identifiziert die Studie einen zweiten Treiber für die Digitalisierung in der Bau- und Immobilienwirtschaft: Die zunehmenden Regulierungen vor allem im Bereich Nachhaltigkeit verpflichten die Investor*innen zu grösserer Transparenz – Stichwort EU-Taxonomie –, gleichzeitig werden vermehrt bauliche Vorgaben im Zusammenhang mit Energieverbrauch und Dekarbonisierung geschaffen. Der Einsatz von digitalen Mitteln ermöglicht, die notwendigen Informationen zu erfassen, optimale Massnahmen zu ergreifen und vor allem auch die geforderten Nachweise zu erbringen. Künftig müssen sich die beteiligten Rollen also schon bei der Planung und Finanzierung, im Bau und Betrieb sowie im Rückbau Gedanken zur Datenerfassung und -strukturierung machen sowie konkrete Zielwerte anstreben.