bauRUNDSCHAU

Bauen in der Kreislaufwirtschaft

Innere Nachverdichtung durch zweigeschossiges Einstellmöbel mit Arbeitsplätzen im Gundeldingerfeld.

Das Thema Nachhaltigkeit spielt auch in der Baubranche eine wichtige Rolle. Im Einklang mit der Natur leben – das wünschen sich immer mehr Menschen, Bewohner wie auch Bauherren. Die heute gängige Wegwerfkultur wird immer mehr hinterfragt: Hier setzt das baubüro in situ an, um nachhaltiges Bauen möglich zu machen.

Bauen in der Kreislaufwirtschaft: Was bedeutet dieser Begriff für Sie genau?
Die Kreislaufwirtschaft ist ein Gegenentwurf zum heute gängigen linearen Modell, das nach dem Prinzip «take, make, waste» funktioniert. Aus Rohstoffen wird ein Produkt hergestellt und nach der Nutzungsphase wird aus dem Produkt Abfall. Übertragen auf die Bauwirtschaft bedeutet das zum Beispiel: Wir reissen einen Massivbau aus der Gründerzeit ab und deponieren den Bauschutt. Von diesem linearen, Ressourcen-verschlingenden
Modell möchten wir jedoch zu einem Kreislaufsystem gelangen. In Letzterem setzen
wir in der gebauten Umwelt vorhandene Materialien nach ihrem Rückbau erneut ein. Die Rohstoffe für Neubauten sind folglich in der bereits bestehenden gebauten Umwelt zu suchen. Daher der Begriff «urban mining». Solche «Urbanen Minen» sind in grosser Zahl vorhanden und sind Quellen für zukünftig benötigtes Baumaterial.

Neben solchen mineralischen werden auch «erneuerbare» Materialien, wie beispielsweise
Holz, in der Kreislaufwirtschaft genutzt. Biogene Materialien sind sozusagen von Haus aus kreislauffähig.

Was ist Ihr Motiv, sich mit der Kreislaufwirtschaft auseinanderzusetzen?
Das Baubüro in situ hat eine über 20-jährige Geschichte in nachhaltigem Bauen. Ziel ist
es, Abfall zu vermeiden, um gleichzeitig Ressourcen zu schonen sowie graue Energie und Treibhausgase einzusparen. Statt ein Gebäude abzureissen, bauen wir auf dem Bestand auf. Mit sorgfältigen, möglichst kleinen Eingriffen werden bestehende Bauten oder ganze Industrieareale für neue Nutzungen angepasst.

Der Erhalt von Bestandsbauten beziehungsweise die Verlängerung der Lebensdauer von Bestehendem ist eine Form der Kreislaufwirtschaft.

Seit fünf Jahren gehen wir einen Schritt weiter und bauen Neubauten aus Re-Use-Materialien.

Was bedeutet Bauen mit Abbruchmaterial in der Praxis und wie finden Sie «Urbane Minen»?
Angefangen hat es damit, dass wir mit offenen Augen durch die Städte gepirscht sind. Sobald unsere Bauteiljäger / innen gesehen haben, dass ein Gebäude abgebrochen wird, hat die Jagd begonnen. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass wir an  Rückbaumaterial interessiert sind und so erhalten wir heute auch Angebote. Oder wir erhalten Suchaufträge für bestimmte Bauteile, dann schalten wir unser Netzwerk ein und suchen zielgerichtet. So haben wir kürzlich zehn Hochspannungsmasten vor dem Einschmelzen gerettet, die Träger der Masten sollen nun in einem Museumsgebäude eingesetzt werden.

Welche Vorteile bringt Bauen mit wiederverwendeten Materialien mit sich?
Grosse Vorteile liegen im ökologischen Bereich, Stichworte sind Abfallvermeidung, Treibhausgas-Einsparung, Ressourcenschonung. Ökonomisch betrachtet ist vorteilhaft, dass die Wertschöpfung in der Schweiz bleibt. Wichtig ist uns der gesellschaftliche Aspekt, der Erhalt von Geschichten, Handwerkskunst, Baukultur und Patina.

Und wo liegen die Schwierigkeiten?
Oft sind Bestandsbauten leider so gebaut, dass nicht viele Bauteile wiederverwendet werden können. Bei einem Betonbau mit massiven Innenwänden aus den 1960er-Jahren beispielsweise kann oft nicht viel ausgebaut werden. Wir empfehlen dann, das ganze Gebäude stehen zu lassen und anders zu nutzen. Das ist die effektivste Wiederverwendungsmöglichkeit.

Es wird höchste Zeit, dass wir unsere gängige Baupraxis umstellen, hin zu einer Bauweise,
die zukünftig rückbaubar ist.

Wie können Bauherrschaften zu so einem Re-Use-Projekt motiviert werden?
Re-Use-Projekte werden bisher erst von wenigen, innovativen Bauherrschaften ermöglicht.
Ihnen gebührt grosser Respekt, denn ohne sie wäre die Weiterentwicklung der Thematik nicht möglich.

Bei weniger innovativen Bauherrschaften gilt es, Überzeugungsarbeit zu leisten. Welcher Umfang von Wiederverwendung ist in ihrem Projekt und unter ihren spezifischen Bedingungen möglich? Stück für Stück erarbeiten wir Lösungsmöglichkeiten. Wir zeigen auf, dass ein Systemwandel möglich ist, damit diese zukunftsfähige Bauweise ihren Weg aus der Ausnahme hin zur Norm findet.

Was können Sie zu Ihrer Tätigkeit und dem Thema Netto-Null weitergeben?
Wenn wir 2030 auf Netto-Null sein wollen, müssten wir im Grunde aufhören zu bauen. Denn klimaneutrales Bauen ist heute noch gar nicht möglich – Gebäude betreiben schon, aber sie zu erstellen nicht. Um zu einer klimaneutralen Bauweise zu kommen, brauchen wir Prozesse, die ohne fossile Energien auskommen. Die Herstellung jedes Stahlträgers, jedes Betonfundamentes emittiert Treibhausgase. Das Weiterbauen an Bestandsbauten, das
Nachverdichten und Umnutzen bergen ein grosses Einsparpotenzial, das noch zu wenig
ausgeschöpft wird.

Wie kann kreislaufgerechtes Bauen genau aussehen?
Wir bauen derzeit eine dreigeschossige Aufstockung in Winterthur aus wiederverwendetem
Baumaterial. In der CO2-Bilanz «Das Weiterbauen, das Nachverdichten und Umnutzen
bergen ein grosses Einsparpotenzial … » der Erstellung unterschreiten wir die strengen
Werte der 2000-Watt-Gesellschaft um 30 Prozent. Das ist ein enormer Hebel. Die Hülle des Gebäudes weist trotz des Re-Use-Materials keine schlechtere Performance auf als ein «normaler» Neubau – das wäre gesetzlich gar nicht möglich. Wie die  Treibhausgasemissionen im Betrieb eines Gebäudes reduziert werden können, ist allgemein bekannt: eine gute Hülle, erneuerbare Energieversorgung und Eigenstromerzeugung. Voilà.

Wie aber reduzieren wir die Treibhausgasemissionen in der Erstellung und wie bauen wir so, dass ein Gebäude als Materiallager für zukünftige Bauten dient? Wie bauen wir materialeffizient und lebenszyklusgerecht? Wie können wir argumentativ und planerisch verhindern, dass voll funktionsfähige Gebäude frühzeitig abgerissen und zu Abfall werden? Es ist wichtig, zu einer gesamtheitlichen Betrachtung zu kommen. Die Zeit drängt.

Zurück zu unserer Aufstockung in Winterthur: Die eingesparten Treibhausgase durch die Wiederwendung von Baumaterial reichen aus, um das Gebäude über viele Jahrzehnte zu betreiben.

www.insitu.ch

Die mobile Version verlassen