Regelmässig hört man, dass bei der Isolierung der Gebäude in technischer Hinsicht das Machbare erreicht ist und der angemessene Umgang mit den angebotenen Lösungen im Vordergrund stehen sollte. Allerdings braucht es dafür eine gute Übersicht über das Angebot. Und noch immer erscheinen neue Produkte auf dem Markt, die Nischen finden und Bedarfslücken optimal füllen – insbesondere bei Gebäudesanierungen. Der Tageskurs «Dämmung 4.0» vom 24. Oktober 2019 von energie-cluster.ch warf ein Schlaglicht auf die aktuellen Entwicklungen. Als Bauphysiker setzte sich Stefan Bürkli in seinem Referat mit der Bedeutung der Dämmstärke auseinander.
Das Angebot von Dämmstoffen ist heute breit wie nie. Traditionellen, «natürlichen» Materialien wie Schafwolle stehen Hightech-Erzeugnisse wie Aerogel gegenüber. Wie behalten Sie die Übersicht?
Wir bekommen immer wieder Anfragen, ob wir spezielle Bauprojekte begleiten könnten, beispielsweise denkmalgeschützte Altbauten, Hybridbauten, etwa in Holz-Beton-Bauweise, oder Pilotprojekte. Hierfür stellen sich regelmässig alternative Dämmstoffe als ideale Lösung heraus. In diesem Fall lohnen sich für uns individuelle Recherchen, Absprachen unter Kollegen oder Weiterbildungskurse.
Als Bauphysikexperte müssen Sie Ihre Kundinnen schnell über die Vorzüge oder auch Nachteile bestimmter Produkte oder Lösungen informieren. Haben Sie dafür ein System oder simple Leitsätze? Als wesentlich erachte ich, dass die Rahmenbedingungen des zu dämmenden Bauteils genau bekannt sind: der Standort, die Nutzung, der Zustand der allfälligen bestehenden Bausubstanz etc. Mit diesen Informationen lassen sich die möglichen Dämmkonzepte bauphysikalisch, bautechnisch und wirtschaftlich einstufen. Je mehr über eine Situation bekannt ist, desto klarer kristallisiert sich die ideale Lösung heraus.
Unter «Dämmung 4.0» versteht der energie-cluster.ch auch die Kombination unterschiedlicher Dämmlösungen an einem Objekt. Wie häufig finden solche gemischten Lösungen Anwendung?
Praktisch an jedem Gebäude ist dies der Fall. Mit dem Ziel vor Augen, ökologisch und ökonomisch nachhaltige Gebäude zu realisieren, kommen innerhalb eines Objekts meistens unterschiedliche Dämmmaterialien zum Einsatz. Eine Grosszahl der heutigen Gebäude sind Monsterhybride, die aus zig Baumaterialien bestehen. Um die genannten Ziele zu erreichen, ist diese Vielfalt oft sinnvoll. Dass das Gebäude am Ende seiner Lebensdauer korrekt demontiert wird, dass man die Materialien trennt und diese im Kreislauf enthalten bleiben, erachte ich umso mehr als zentral. Dies umzusetzen, ist nicht immer einfach. Aber deshalb planen wir fast ausschliesslich mit einschichtigen Dämmmaterialien, Sandwichplatten kommen kaum zum Einsatz.
Wie wichtig ist Ihnen als Bauphysiker die gestalterische Wirkung von Dämmlösungen?
Die gestalterische Wirkung ist selten ein Thema, da die Dämmung am fertigen Gebäude praktisch nie sichtbar ist. Geht es um Schichtdicken, wird im Normalfall über den Verlust von Fläche und Raum diskutiert.
Werden geschützte historische Gebäude dämmtechnisch optimiert, möchten die für den Schutz zuständigen Behörden gerne ein Wörtchen mitreden. Welche Erfahrungen machen Sie in diesem Bereich?
Jede am Bau beteiligte Gruppe, seien dies Architekten, Fachplaner, Behörden, Bauunternehmen oder die Bauherrschaft, hat ihre Grundsätze und eigenen Ideen. Diese alle unter einen Hut zu bringen, ist die grosse Herausforderung, aber auch das Spannende. Mit einem guten Dialog und gegenseitigem Verständnis ist dies praktisch immer möglich. Das tönt vielleicht nach einer diplomatischen Antwort, aber die Erfahrung machen wir eigentlich bei allen Projekten.
Ihr Referat am Tageskurs «Dämmung 4.0» hatte den Titel «8 Zentimeter oder 65 Zentimeter – Aerogel oder Dämmbeton?». Was möchten Sie mit dieser drastischen Gegenüberstellung bezwecken?
Es gibt nicht die pauschal perfekte Dämmlösung. Jedes Objekt ist anders und für jedes Objekt gibt es die individuell optimale Lösung, es zu dämmen. Bei der Planung der Gebäudehülle, von der die Dämmung nur ein Element ist, gilt es, das Gebäude als gesamtes System zu betrachten. Und deshalb kommen vielleicht einmal 8 Zentimeter Aerogel und das andere Mal 65 Zentimeter Dämmbeton zum Einsatz. Und am allermeisten irgendetwas dazwischen.