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Das Haus der Zukunft

Das DFAB HOUSE thront rechts auf dem NEST-Gebäude. ( NCCR Digital Fabrication / Roman Keller)

Auf dem NEST-Gebäude der Empa und Eawag in Dübendorf thront seit Februar das DFAB HOUSE. Es ist das weltweit erste bewohnte «Haus», das nicht nur digital geplant, sondern auch weitgehend digital gebaut wurde. Jetzt im Mai sind die ersten Bewohner eingezogen und testen die eingebauten Smart-Home-Lösungen.

Eine kopfüberhängende Wüstenlandschaft – so lässt sich die feingliedrige, wellenartige Betondecke vielleicht am besten beschreiben. Gegossen wurde sie in 3-D-gedruckten Schalungen; zusammen mit einer geschwungenen, von einem Bauroboter erstellten Betonwand bildet sie das futuristische Wohnzimmer. Zur Beschattung öffnen und schliessen sich die Storen automatisch wie von Geisterhand, und den Wunsch nach Pizza muss man nur aussprechen und schon verbindet sich das Smartphone mit dem nächsten Bringdienst. Was wie ein Science-Fiction-Film klingt, ist in Dübendorf Realität: Ende Februar öffnete das smarte und gleichzeitig weitgehend digital geplante und gebaute DFAB HOUSE seine Türen.

Raus aus dem Labor
Das dreigeschossige «Wohnhaus» thront auf der obersten von drei Plattformen im NEST. Auf diesem modularen Forschungs- und Innovationsgebäude der Empa und Eawag in Dübendorf können Forschende zusammen mit Industriepartnern neue Bau- und Energietechnologien unter realen Bedingungen testen. NEST besteht aus einem zentralen Gebäudekern, an den unterschiedliche Gebäudemodule – sogenannte Units – andocken können. Eine dieser Units ist nun das DFAB HOUSE. Was die Digitalisierung der Bauwirtschaft betrifft, geht das DFAB HOUSE weit über die digitale Erfassung der Bauwerksdaten und Building Information Modeling (BIM) hinaus – das Gebäude wurde nicht nur digital entworfen und geplant, sondern auch weitestgehend mit digitalen Prozessen gebaut und ist mit neuen Smart-Home-Lösungen ausgestattet.

Acht Professuren der ETH Zürich haben für den Bau des DFAB HOUSE mit bekannten Industriepartnern zusammengearbeitet. Im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) «Digitale Fabrikation» haben sie mehrere neuartige, digitale Bautechnologien erstmals vom Labor in reale Anwendungen überführt. Die digitalen Technologien haben zum Ziel, das Planen und Bauen nicht nur effizienter zu machen, sondern auch nachhaltiger. Was die SmartHome-Lösungen angeht, lassen sich diese im DFAB HOUSE unter realen Bedingungen testen, validieren und optimieren.

Intelligente Decke
Wie genau funktioniert das aber mit der digitalen Planung und den Robotern auf der Baustelle? Bleiben wir bei der anfangs erwähnten gerippten Geschossdecke aus Beton: die Smart Slab, zu Deutsch «intelligente Decke». An den dünnsten Stellen misst sie gerade mal 20 Millimeter und ist nur halb so schwer wie eine konventionelle Betondecke. Das spart auch eine beträchtliche Menge an Material ein. Und gerade hier liegt ein ökologisch nachhaltiger Aspekt. Bisher neigt die Bauindustrie dazu, die immer gleichen Massivdecken zu produzieren, da Beton günstig und reichlich verfügbar ist. Das zieht einen hohen Materialverbrauch und somit eine schlechte CO2-Bilanz mit sich. Mithilfe einer eigens entwickelten Planungssoftware liess sich die Decke im DFAB HOUSE jedoch statisch und strukturell derart optimieren, dass die nötige Stabilität mit weniger Material erreicht wird.

«Neu bei der digitalen Fabrikation ist, dass wir nicht nur den Entwurfsprozess und die Berechnungen digital ausführen, sondern auch Teile des Bauens selbst», erklärt Konrad Graser, Projektmanager des DFAB HOUSE, und ergänzt: «Bei der Decke beispielsweise das Drucken der Schalungen.» Bei solch einer komplexen Struktur ist das auch zwingend nötig. Hierzu kam ein 3-D-Drucker zum Einsatz: Im 3-D-Druck macht es keinen Unterschied, wie komplex die Geometrie eines Bauteils ist – der Drucker druckt einfach, was man ihm befiehlt. In diese Negativform liess sich anschliessend ein leistungsfähiger, faserverstärkter Beton giessen, damit sich die komplexe, geometrische Struktur in millimetergenauer Feinheit herauslösen lässt. Es geht darum, neue technische Möglichkeiten aufzuzeigen. Graser erklärt die auffallende, gerippte Decke folgendermassen: «Wir haben eine spezifische Formensprache gewählt, die einfach aufzeigt, wie man mit digitalen Mitteln entwerfen und bauen kann.»

Digitale Fertigungsprozesse
Bei dem Holzbau zeigt sich, dass die neuen Technologien auch in gestalterischer Hinsicht neue Möglichkeiten eröffnen. So sind die beiden oberen Wohngeschosse von Holzrahmen geprägt, die mithilfe zweier Bauroboter fabriziert und in komplexer Geometrie angeordnet wurden. Das roboterbasierte Fertigungsverfahren Spatial Timber Assemblies schnitt die Holzbalken zu und positionierte diese gemäss einem Computerentwurf präzise. So liegt die Genauigkeit der Balkenplazierung, wenn vier oder mehr Sender den Roboter verfolgen, unter einem Millimeter. Trotzdem wird der Bauarbeiter nicht komplett ersetzt, denn «Schraubverbindung herstellen, fällt dem Menschen mit seiner Geschicklichkeit heute noch viel leichter», weiss Graser. «Wir wollen, dass die Arbeiter auf der Baustelle mit den Robotern kollaborieren können.»

Diese zwei digitalen Fertigungsprozesse sind natürlich längst nicht die einzigen, die im DFAB HOUSE zur Anwendung kamen. Insgesamt veranschaulichen sechs Innovationen, wie die digitalen Möglichkeiten das Entwerfen und Bauen revolutionieren können. So fertigt der In situ Fabricator, ein mobiler Bauroboter, die Bauelemente direkt auf der Baustelle an. Die Smart Slab wird von einer sogenannten Mesh Mould getragen. Diese tragende Wand besteht aus einer mit Beton ausgegossenen 3-DGitterstruktur, welche die beiden Funktionen Schalung und Bewährung vereint. Auch das Smart Dynamic Casting gehört zu den erprobten Fertigungsverfahren: Das digital gesteuerte Gleitschalungsverfahren fabriziert massgeschneiderte, individuelle Stahlbetonpfosten, bei denen sich die Geometrie an die geforderte Tragfähigkeit anpasst. Und die transluzente Leichtbaufassade ermöglicht das Einbringen von AerogelGranulat zwischen speziell entwickelten Membranplatten, was eine hervorragende Dämmwirkung hat und Energie im U-Wert von 0.165 einspart.

Ein intelligentes Zuhause
Anfang Mai sind vier Bewohnerinnen und Bewohner ins DFAB HOUSE eingezogen. Es handelt sich dabei um akademische Gäste von Empa und Eawag. Sie haben die Aufgabe, die neuen, implementierten SmartHome-Lösungen in der Realität zu testen und zu validieren. Ziel der Firmen ist es, dank konkreter Messdaten aus dem alltäglichen Gebrauch wertvolle Hinweise auf die Machbarkeit und Akzeptanz ihrer intelligenten Lösungen zu bekommen. «Das NEST bietet die Möglichkeit, einen Zwischenschritt zwischen Labor und realem Markt zu machen», erklärt Marchesi, Innovation Manager im NEST. Gemäss ihm dämpfe das den Sprung ins kalte Wasser etwas ab – es sei zwar eine reale Umgebung mit realen Menschen in einem realen Bauwerk, aber wenn es nicht genau wie geplant funktioniert, entstehe im DFAB HOUSE erst mal kein Risiko für die Unternehmen.

Zu den Smart-Home-Lösungen gehören unter anderem eine intelligente und mehrstufige Einbruchsicherung, automatisierte Blend- und Beschattungsmöglichkeiten, eine webbasierte Regelung von Heiz- und Kühlkreisläufen und die neueste Generation vernetzter, intelligenter Haushaltsgeräte. Die Basis des Smart-Home-Erlebnisses ist die herstellerunabhängige Plattform des schweizerisch-deutschen Unternehmens digitalSTROM. Smarte Lüsterklemmen digitalisieren analoge Geräte, damit diese mit anderen digital vernetzten Geräten zusammenarbeiten können. Über Sprachsteuerung können die Bewohner zudem das komplette Zuhause steuern und Geräte ein- beziehungsweise ausschalten oder eine bestimmte Abfolge von Aktionen auslösen.Ein wichtiger Faktor bei Smart Homes ist immer die Kompatibilität der einzelnen Geräte. Das bestätigt auch Marchesi: «Ein Arbeitsbereich für die Smart-Home-Firmen ist das Thema Interoperabilität. Es geht weniger um einzelne Systeme, um Kochherde oder Lichtsteuerung, es geht mehr um die Frage, wie gut die Systeme zusammenarbeiten. Und zwar aus Nutzersicht.» Im DFAB HOUSE lassen sich durch eine neue Art der Vernetzung Umsysteme und Geräte verschiedener Hersteller erschliessen. Dank dieser können moderne Haushaltsgeräte wie Kochfelder, Backöfen und Geschirrspüler sowie grundlegende Funktionen der Beleuchtung, der Beschattung und der Fensteransteuerung untereinander Betriebsdaten austauschen. «Diese müssen im Hintergrund zusammenarbeiten, ohne dass der Nutzer das merkt», erklärt Marchesi. Was beispielsweise die Storen angeht, sorgen diese automatisch für Beschattung. Allerdings müssen die Bewohner mit dieser Funktion zufrieden sein – im DFAB HOUSE geht es deswegen darum, diesen im Hintergrund laufenden Automatismus zu optimieren.

Smartes Energiemanagement
Das DFAB HOUSE ist allerdings nicht nur in Bezug auf die Hauselektronik smart, sondern auch was den Umgang mit Energie angeht: Photovoltaikmodule auf dem Dach liefern im Jahresdurchschnitt etwa eineinhalb Mal so viel Strom, wie die Unit selbst verbrauchen wird. Eine intelligente Steuerung koordiniert alle Verbräuche und sorgt dafür, dass keine Lastspitzen auftreten. Zwei Start-up-Ideen, die von Forschenden der Empa und der Eawag begleitet werden, helfen dabei, zusätzlich Energie zu sparen: Zum einen wird die Wärme des Abwassers, die sonst verloren geht, über Wärmetauscher direkt in den Duschwannen zurückgewonnen. So lässt sich das kalte Frischwasser um 15 Grad vorwärmen und anschliessend muss im Duschmischer 42 Prozent weniger Heisswasser beigemischt werden. Zum Zweiten fliesst das warme Wasser bei Nicht-Gebrauch aus den Leitungen zurück in den Boiler, anstatt in den Wasserleitungen abzukühlen. Diese Methode spart nicht nur Energie und Wasser, sondern vermindert auch die Gefahr von Bakterienbildung in den Leitungen.

Blick in die Zukunft
Das DFAB HOUSE auf dem Forschungs- und Innovationsgebäude NEST ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Zusammenarbeit zwischen Forschenden und der Industrie zukunftsweisende Lösungen hervorbringt. Aber wie sieht es mit der Tauglichkeit in der Zukunft aus? Am Ende müssen sich die neuen digitalen Fertigungsprozesse und Smart-Home-Lösungen nicht nur bewähren, sondern auch für die Bauherrschaft finanziell rechnen. Noch zeigt das DFAB HOUSE Prototypen und Erstanwendungen der neuen Technologien. Der Schwerpunkt liegt auf dem Sammeln von Erfahrungen, um auf dieser Grundlage die Technologien weiterzuentwickeln und markttauglich zu machen. Ziel ist es, «dass man mit den Technologien in einem vernünftigen Kostenrahmen bauen kann, aber auch in hoher Qualität», erörtert Graser.

Dazu gibt es verschiedene weiterführende Projekte mit Industriepartnern, bei denen diese Verfahren weiterentwickelt werden. Graser nennt hier das Smart Dynamic Casting als Beispiel, mit dem die Fassadenpfosten hergestellt wurden. Hier ist die klare Absicht der Industriepartnerschaft, das Verfahren industriell zur Anwendung zu bringen. Für Graser «ist das DFAB HOUSE also nicht das Ende der Geschichte, sondern nur ein Schritt näher an die tatsächliche Umsetzung». Zwar ist die Baubranche dafür bekannt, dass sich die Dinge traditionell etwas langsamer entwickeln, aber auch hier ist er zuversichtlich: «Wir haben bei dem DFAB HOUSE aus erster Hand gesehen, dass das Interesse am digitalen Bauen gross ist und eine Bereitschaft besteht, neue Ideen anzugehen.» Was die SmartHome-Lösungen im Bezug auf Innovationen und Neuheiten betrifft, handelt es sich um relativ reife Systeme, von denen die meisten bereits auf dem Markt sind. Die Ziele, welche die Firmen beim Testen und Validieren im DFAB HOUSE verfolgen, sind daher sehr unterschiedlich: «Die einen möchten die Sicherheit verbessern, andere den User-Komfort, wieder andere sind froh, wenn ihre Lösung überhaupt funktioniert», erklärt Marchesi.

Das nützt natürlich alles nichts, wenn es keinen Markt für die Produkte gibt. «Eine Innovation ist nur dann eine Innovation, wenn sie auch eine Nachfrage erzeugt», weiss Marchesi. Das NEST ist deswegen neben einer technischen Plattform auch eine Kommunikationsplattform. Es geht darum, Menschen aufzuklären, zu sensibilisieren und den Entscheidungsprozess mit Informationen abzustützen. Die Besucher sind hauptsächlich Professionals wie Architekten, Ingenieure, Bauherren und Planer. Wenn es um die Einführung von digitalen Fertigungsprozessen und Smart-Home-Lösungen geht, «entscheiden letztendlich weniger die Privatpersonen», erklärt Marchesi und ergänzt: «Wirklich bewegen können nur die Professionals, die Bauherren oder technische Berater.» Das Wissen zu neuen intelligenten Lösungen finden sie nun im DFAB HOUSE.

www.dfabhouse.ch
www.nest.empa.ch/dfabhouse

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