bauRUNDSCHAU

Der neue Dreiklang

Bei neuen Lösungen strategisch aus dem Gebäude hinausschauen.

Im Zeichen der Digitalisierung und der Herausforderungen der Energiewende wachsen das Gebäude und die Mobilitätslösungen immer mehr zusammen. Es gilt, hier Brücken zu bauen. Hier stellt sich die Frage, wie und wo uns die Wissenschaft weiterhelfen kann.

Wir müssen, im Zeichen der aktuellen Entwicklungen über den Tellerrand hinausschauen. Kann man die Herausforderungen mit solch einem Satz zuspitzen?
Ja, insofern als die Fragestellungen systemischer geworden sind. Um bei dem Bild zu bleiben, wenn ich nicht sehe, dass es nebst Gemüse noch ein feines Stück Fleisch gibt, dann verpasse ich einen wesentlichen Teil der feinen Mahlzeit.

So vernetzt sich das Auto nicht nur mit anderen Verkehrsmitteln und fährt in einigen Jahren mindestens teilweise autonom, sondern wird im Zeichen der E-Mobilität mit dem Haus verbunden. Wie verändert sich dabei die Mobilität?
Die Mobilität selber verändert sich wenig, nur der Umgang damit. Die Mobilität wird immer noch etwa die gleiche Anzahl «Zielverschiebungen» pro Person beinhalten, aber der Verkehr wird differenzierter abgewickelt oder wie man sagt, «multimodaler», das heisst, es werden immer mehr verschiedene Verkehrsmittel kombiniert eingesetzt. Die Schnittstellen werden dabei vereinfacht, was begünstigend wirkt. Zudem wird es für Kurzstrecken mehr Langsamverkehr geben. Mit der E-Mobilität reduziert sich übrigens in der Schweiz bei einer Totalumstellung der Gesamtenergieverbrauch wegen Einsparungen der erdölbasierten Treibstoffe um circa 25 Prozent bei gleichzeitiger Reduktion des CO2 um 80 Prozent! Natürlich gehen von den gewonnenen 25 Prozent wieder fünf Prozent für die zusätzliche elektrische Energie weg, was einer Stromzunahme von 20 Prozent entspricht. Die Herausforderungen der E-Mobilität im Zusammenspiel mit dem Haus werden so vor allem in der zusätzlichen elektrischen Infrastruktur und in der Art der Abrechnungssysteme liegen.

Auch die einzelne Gebäudehülle ist keine Grenze mehr. Zum Beispiel setzen wir im Quartier vermehrt auf dezentrale Speicherung von Solarenergie. Sicher haben Sie noch weitere Beispiele?
Dezentrale Speicher sind für die energetische Betrachtung wichtig. Das Ausweiten der Systemgrenze «Gebäudehülle» heisst aber beispielsweise auch, dass Mobilität gemeinsam geplant wird, sei dies wie heute schon mit Parkplätzen. Dazu kommen aber auch Ladeinfrastrukturen, gemeinsam geteilte Fahrzeugflotten, abgestimmte Anschlüsse mit dem öffentlichen Nahverkehr oder Radfahrwege, die auf Arealebene gemeinsam geplant werden können.

Was heisst dies für Architekten, Stadt- und Raumplaner?
Es besteht ein integraler Auftrag an die Bauplanung, sich nicht nur auf die Anzahl von Parkplätzen und das Einziehen von Leerrohren für spätere Ladeinseln zu beschränken, sondern in grösseren Systemen zu denken. Für Bauvorhaben und Unternehmen braucht es integrale Mobilitätskonzepte, die standardisierte Zielsetzungen mit geeigneten, vielfältigen Massnahmen erreichen möchten.

Mobilität und Architektur sind dann keine eigenen Welten mehr?
Nein. Fachlich gesehen sind das alles total verschiedene Welten mit eigenen Kompetenzen, aber die Schnittstellen werden so bedeutend, dass dies gegenseitig grösste Aufmerksamkeit verlangt und die Mobilitätsaspekte in der Bauplanung aufwertet. Zum Beispiel wird das in Kürze erscheinende SIA-Merkblatt 2060 «Infrastruktur für Elektrofahrzeuge in Gebäuden» genaue Hinweise geben, was E-Mobilität bezüglich Infrastruktur im Bau verlangt.

Das tönt jetzt aber nicht mehr nach Richtungs-, sondern Paradigmenwechsel?
Architektur und Bau ist nur ein Aspekt der weit reichenden Veränderungen, denn genau genommen handelt es sich um mehrere Paradigmenwechsel: weg von der Einzelsicht hin zur ganzheitlichen Betrachtung, Mobilität im Rahmen der Digitalisierung (GPS, neue Services oder Apps), weniger Besitz und mehr geteilte Mobilität, Verwendung mehrerer Mobilitätsträger (Multimodalität) und natürlich generell der Trend hin zur nachhaltigeren E-Mobilität.

Lassen Sie uns diesen Paradigmenwechsel an zwei Beispielen verdeutlichen?
Zum einen im Zeichen der Digitalisierung der Systemzusammenhang zwischen «Tankinhalt» und Energiemanagement zu Hause: mittels Datenübermittlung des Ladezustands der Batterie meines E-Mobils, des aktuellen Fahrzeugstandorts und dem am GPS-System eingestellten Rückweg nach Hause, kann das dortige Energiemanagement ein Optimum zwischen selbst erzeugter PV-Energie und günstig zuge führtem Netzstrom – sofern kurzfristige Tarifsignale realisiert sind – frühzeitig planen, eventuell mittels einem zusätzlichen stationären Speicher. Natürlich erfolgt das alles im Rahmen von Datenschutzrichtlinien.

Ebenfalls können als Beispiel für die Digitalisierungsstrategien die StauumfahrungSysteme der «Green ITS» (intelligente Verkehrstelematik) aufgeführt werden. Sie können mit Autos kommunizieren, das GPS auf den nächsten Park & Ride-Parkplatz einstellen, die Abfahrtszeit des nächsten Zuges zur gewünschten Zieldestination mitteilen und direkt das Sparbillett auf das Smartphone laden.

Früher hatte ich einzelne Messgeräte an der Heizung oder im Auto. Zunehmend wird mein Smartphone zum Scharnier zwischen den Welten. Was heisst dies für unseren Alltag?
Meine beiden Beispiele von oben unterstreichen die Bedeutung der Digitalisierung und der Stellung, welche Smartphones hier einnehmen. Man kann dem entnehmen, dass mehrere Welten zusammenkommen: Energieanzeigen, Geoinformationen, Multimedia wie Video, Foto, Audio, Staumeldungen oder Billette-online-Lösen rücken zusammen.

Energie habe ich früher von grossen Energieriesen bekommen, heute erzeuge ich sie selber oder im regionalen Verbund. Da werden ganze Branchen durcheinandergewirbelt?
In der Tat stehen wir im Zeichen der internationalen Marktliberalisierung des Elektrizitätsmarktes. Für Energiekonsumenten mit einem bedeutenden Energiebezug (100’000 kWh) kann ich das «Stromprodukt» unabhängig vom lokalen Versorger heute schon frei wählen. Diese Entwicklung wird sich bis hin zum kleinen, privaten Einzelbezüger verlagern. Die Branche wird vom Infrastrukturinhaber zum werbenden Anbieter, der mit geeigneten Massnahmen Kundenbindung erreichen will. Das belebt das Angebot moderner Technologien und fördert ganz nebenbei auch die schnelle Wegbereitung der E-Mobilität.

Im Grunde genommen geht es nicht mehr um einzelne Teile oder Bausteine, sondern um vernetzte Systeme. Was bedeutet diese neue Sichtweise?
Spannende und ganzheitliche Lösungen. Grössere Systeme bedeuten aber sofort auch komplexere Aufgabenstellungen, welche nach entsprechend ausgebildetem Fachpersonal verlangen. Den Lehren und Hochschulausbildungen kommen hier grosse Bedeutung zu.

Jetzt gibt es Treiber und Bremser dieser Entwicklungen. Können diese kurz skizziert werden?
Wir denken in für uns gewohnten Systemen, Vertrautes gibt Sicherheit. Alles Neue scheint nicht machbar. Diese sogenannten konservativen Einschränkungen sind nicht zu unterschätzen. Dazu gehört auch der Einwand, wirtschaftlich sei etwas nicht möglich. Dem ist entgegenzuhalten, dass oft Schattenkosten nicht mitberücksichtigt werden – zum Beispiel was kostet eine Klimasanierung? Und dass sich die Kostenstrukturen beim aktuellen technologischen Wandel verlagern. Ein weiteres Beispiel ist aktuell, dass unsere Gewohnheiten nach Fahrzeugen mit grössten Reichweiten verlangen, obwohl wir im Schnitt in der Schweiz bloss circa 37 km pro Tag zurücklegen. Treiber sind demgegenüber die neue Marktchancen und die von der Weltgemeinschaft klimabedingten regulatorisch notwendigen Eingriffe, um für den Planeten Sorge zu tragen.

Den Klimawandel gibt es aber, von der Wissenschaft erkannt, seit Anfang der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Was hat sich hier verändert? 
Man hat mit dem IPCC-Bericht verlässliche Prognosen geschaffen, die mit statistischen Aussagen belegen, dass in den westlichen Ländern bis 2050 80 Prozent CO2 reduziert werden müssten, um eine 50-ProzentChance zu haben, das Klima zu retten. Selbst die moderateren, aktuell verbindlichen europäischen Klimaziele, die auch in der Schweiz aufgenommen wurden, sind ohne E-Mobilität gar nicht mehr zu erreichen.

Welche Rolle kann hier die Wissenschaft spielen? Sicher müssen einzelne Fachbereiche hier mehr zusammenkommen?
Die Wissenschaft schliesst Lücken auf dem Weg zu neuen Technologien und leistet gerade in Fragen des Systemzusammenspiels Beiträge. Gesellschaftliche Entwicklungen gehen immer mit Technologieentwicklung und der wissenschaftlichen Forschung einher und umgekehrt. Zieht einer dieser drei voraus, ziehen die anderen nach. Bezogen auf unsere Themen hier zeichnet es sich sogar ab, dass sich alle drei Bereiche gleichermassen schnell entwickeln.

Und was heisst dies für die Hochschule Luzern?
Wir leisten interdisziplinäre Forschungsbeiträge im systemischen Verständnis von Energie und Mobilität. Wir reden von «Gebäude als System» und betrachten hier elektrische und thermische Energiespeicher, effizientes Gebäudeenergiemanagement, Antriebe und EMobilität sowie deren Integration in Smart-Grid Umgebungen. Gleichzeitig sind aber auch raumplanerische Aspekte der Mobilität und bei den Bauingenieuren die Verkehrsinfrastruktur ein Thema. Ebenfalls wird in anderen Departementen der Hochschule Luzern z. B. an «mobiler IT» und «Tourismus und Mobilität» gearbeitet.

www.hslu.ch
www.iiee.ch

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