bauRUNDSCHAU

Digitalisierung der Baubranche

Alle Beteiligte bewegen sich möglichst im Gleichschritt – dann sind die Potenziale abrufbar.

Trotz des Trendworts Digitalisierung und vieler Sonntagsreden befinden wir uns noch am Anfang der Digitalisierung in der Baubranche. Das hat Gründe: Es geht nicht nur um die Einführung einer neuen Software oder von Tools, sondern um, salopp formuliert, eine neue Denke. Mit Markus Weber nehmen wir eine Einordnung vor.

Wer etwas älter ist oder in dementsprechende Geschichtsbücher blickt, für den oder die ist der Hype um den Begriff Digitalisierung nichts neues. Schon Anfang der Siebzigerjahre sprach man darüber. Künstliche Intelligenz (KI) war sogar schon in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts ein Thema. Wo liegen die zentralen Unterschiede zu heute?
Der zentrale Unterschied lässt sich mit dem Stichwort Breitenanwendungen verdeutlichen. Heute sind die Technologien der Digitalisierung im Alltag bei fast allen Menschen angekommen. Demgegenüber war Digitalisierung oder KI im letzten Jahrhundert ein Thema für Experten. Ja, wir waren in Science-Fiction-Filmen im Kino, wir hatten aber kein Smartphone in der Tasche und ein Tablet auf dem Küchentisch oder Daten in der Cloud. Wir agieren heute in ganz anderen Resonanzwelten.

Resonanz ist ein gutes Stichwort. Unsere Generation kommt ja noch aus
analogen Welten. Dort lief Kommunikation über Verbreitung – Buchdruck setzt auf Verbreitung. Demgegenüber rechnen Computer mit Resonanzen. Die Moderne, die wir als Fortschritt gelesen haben, löst sich zunehmend auf und gerät von unterschiedlichen Seiten unter Druck. Es geht eher um Resonanzräume, in denen sich Singularitäten gegenseitig bestätigen.
Die Bau- und Immobilienwirtschaft steht noch mindestens mit einem Bein in der
analogen Welt. Aber wir stehen an einem entscheidenden Übergangspunkt, wo digitale Methoden und Technologien die Arbeitsweise fundamental verändern werden. Weg von einer sequenziellen und dokumentenbasierten hin zu einer parallelen und datenbasierten Wertschöpfungskette.

Das gilt es zu erklären.
Heute ist jeder Akteur Teil einer sequenziell ablaufenden Wertschöpfungskette, das heisst, kaum einer dieser Akteure hat den Fokus auf das Endprodukt, das Bauobjekt im Lifecycle gerichtet, sondern auf seinen Teil der Wertschöpfungskette. Entsprechend optimiert er seinen Teil der Wertschöpfungskette beziehungsweise sein zu lieferndes Teilprodukt, was  offensichtlich zu Zielkonflikten führt. Hier hilft die Digitalisierung. Bevor real  gebaut wird, entwickeln und optimieren wir gemeinsam ein datenbasiertes digitales Abbild, einen «Digital Twin», der aus der Gesamtsicht optimiert werden kann. Statt sequenziell und hintereinander, arbeiten wir parallel und gemeinsam am «Digital Twin». Hier kommen agile Methoden zur Anwendung, zur iterativen und inkrementellen Abwicklung von komplexen Projekten, die nicht in einen  vollumfänglichen Plan gefasst werden können.

Architektur war früher durch die Konstanten Innen und Aussen und Oben und Unten geprägt. Wo sind wir heute gelandet? Es gibt beispielsweise Theoretiker, die vom «Globalen Dorf» wie Herbert Marshall McLuhan sprechen.
Die Architektur wird sich auf neue Lebensund Arbeitsmodelle, die unser Zusammenleben verändern, einstellen müssen. Wir werden ganz neue Formen von Kollaboration erleben oder auch Begegnungen in virtuellen Welten. Die Architektur wird aber hier Antworten finden – davon bin ich fest überzeugt.

Kann dies zu neuen qualitativen Situationen führen?
Das sehen wir schon heute. Nehmen wir das Beispiel des verdichteten Bauens. Wir sind schon jetzt in den urbanen Räumen auf der Suche nach den letzten Lücken. Das reicht aber alles nicht. Es wird auch immer mehr in die Höhe gebaut. Das ist eine Kraft, die in Richtung Architektur wirkt. Eine andere Kraft ist die Digitalisierung. Wir arbeiten immer mehr im Home Office, in Co-Working-Center und unterwegs. Hier kann ich das Stichwort vom «Globalen Dorf» aufgreifen. Es ist ja durchaus wahrscheinlich, dass wir zukünftig in unserem Quartier unterschiedliche Funktionsräume haben, um in diesem «Globalen Dorf» tätig zu werden. Da gibt es in Zukunft viele Aufgabenfelder für die Architektur.

Lassen Sie uns in praktische Welten springen. In der Baubranche ist BIM
(Building Information Modeling) ein zentrales Schlagwort. Es ist keine Software, sondern eher ein multifunktionelles digitales Werkzeug. Ist es nicht viel mehr? 
Zunächst ist es für mich eine Arbeitsmethode oder noch treffender eine Zusammenarbeitsmethode.

Was braucht es an wichtigen Voraussetzungen, damit BIM effizient eingesetzt werden kann?
In der Bauwirtschaft wird unter BIM oft die Digitalisierung als Ganzes beziehungsweise das digitale Planen, Bauen und Betreiben verstanden. BIM ist aber genau genommen nur die Grundlage dazu – nicht mehr und nicht weniger. BIM ist der erste Schritt in die Digitalisierung, mit BIM wird ein Gebäude mit objektorientierten Bauteilen und strukturierten Informationen beschrieben, gemeinsam durch Architekt, Ingenieur, Planer und Unternehmer.

Und dann auch in 3-D zu visualisieren?
3-D ist nicht gleich BIM. Für ein 3-D-Modell braucht es nicht zwingend  objektorientierte Bauteile, hier genügen auch einfache Volumen. Ein objektorientiertes 3-D-Modell ist aber die erste Stufe von BIM. Dazu braucht es aber nur die Bauteile mit den geometrischen Informationen, für mich ist das dann eher «BM – Building Modeling». Die grosse Herausforderung ist das «I – Information», das heisst, alle Bauteile, ob Fenster oder Küchenofen, sind mit strukturierten Informationen beschrieben. Es geht darum, alle über den Lifecycle-relevanten Informationen auf das Objekt bezogen zu referenzieren.
Schlussendlich ist ein physisches Gebäude der Zukunft zugleich eine riesige Datenbank. Aber diese Daten müssen zugeordnet, sprich, referenziert sein.

So hat ein Fenster verschiedene Informationen: Es geht um Materialien oder bauphysikalische Eigenschaften, sicherheitstechnische Werte und viele weitere Informationen. Es geht folglich nicht nur um ein 3-D-Modell. Zukünftig geht es um Informationen, die heute noch überwiegend mittels Plänen, Tabellen und Textfiles ausgetauscht werden, also mehr oder weniger unstrukturiert und nicht direkt maschinenlesbar. Mit BIM werden diese Informationen im gemeinsamen BIM-Modell strukturiert und für alle nutzbar zur Verfügung gestellt. Aktuelle BIM-Projekte haben hier noch ganz viel Potenzial nach oben, sprich, wir stehen noch am Anfang der digitalen Transformation der Bau- und Immobilienwirtschaft.

Das stellt das Trendwort in einen anderen Kontext. Springen wir in die Praxis
der Baustelle. Habe ich in meinem Bagger an einem Bildschirm qualitativ ganz
andere Daten zur Verfügung? 
Genau da liegt der Nutzen. Wenn das gesamte Gebäude in einer riesigen Datenbank
zur Verfügung steht, dann können diese Daten auch von allen genutzt werden, und damit sind nicht nur Menschen, sondern auch Geräte, Maschinen oder Roboter gemeint. Der Aushub ist digital geplant und die Koordinaten stehen georeferenziert zur Verfügung, die vom Bagger direkt genutzt werden können. Moderne Bagger können diese Koordinaten einlesen, der Bagger weiss dann, wo und wie tief er baggern muss. Der Schlüssel liegt folglich in den strukturierten und maschinenlesbaren Informationen, die von allen Akteuren
in einem gemeinsamen BIM-Modell zur Verfügung gestellt und von allen genutzt werden können, und dies entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

Fassaden sind das optische Aushängeschild eines Gebäudes. Man spricht inzwischen von organischen Gebäudehüllen. Was verstehen Sie darunter?
Organische Gebäude heissen so, da man hier zur menschlichen Haut Analogien herstellt. Es geht in erster Linie um den Schutz des inneren Raums. Mithilfe der Digitalisierung kann ich ein Gebäude in seiner Gesamtheit und im Kontext zur Umwelt betrachten, simulieren, optimieren und steuern. Die Grundlage bildet das digitale Abbild, das umfassende BIM-Informationsmodell, der «Digital Twin». So kann ich zum Beispiel verschiedene Fassadentypen viel umfassender und im Lifecycle beurteilen. Oder nehmen wir die Klimafrage: Wie verhält sich das Gebäude, wenn es in 20 Jahren zwei Grad wärmer ist? Das Gleiche gilt auch für Energiepreis- Szenarien usw.

Sie haben im Rahmen des Dachverbandes «Bauen digital Schweiz» eine Roadmap lanciert. Welche Stufen gibt es da und wie weit ist die Branche?
Die erste Stufe beinhaltet die modellbasierte Planung, das heisst, alle Akteure
planen am gemeinsamen BIM-Modell. Heute zeichnet noch vielfach jeder seine
Pläne: Der Architekt zeichnet einen Entwurf, der Statiker schlägt dann vor, wo es tragende Wände braucht, der Gebäudetechniker hat dann nochmals einen anderen Blickwinkel. In Zukunft arbeiten alle gemeinsamen an einem digitalen Modell, wir entwickeln zusammen das virtuelle Abbild, den «Digital Twin».

Und wie geht es weiter?
Wichtig ist, dass sich möglichst alle Beteiligten im Gleichschritt in die Digitalisierung bewegen, und genau das ist auch das Ziel des Stufenplans: Es nützt wenig, wenn der Architekt ein umfassendes BIM-Informationsmodell liefert, hingegen der Fassadenplaner nur ein 3-D-Modell und dazu ein PDF mit hundert Seiten zu den Materialanforderungen oder bauphysikalischen Werten. Gleiches betrifft zum Beispiel auch die Baugenehmigung: Wenn ein umfassendes BIM-Informationsmodell vorliegt, jedoch für die Baugenehmigung mit viel Zusatzaufwand die Baugenehmigungspläne mit den vorgegebenen Farben und
Symbolen erstellt werden müssen, dann werden hier unnötig Ressourcen beschäftigt und Kosten generiert. Ein BIMInformationsmodell mit den für die Baugenehmigung relevanten Informationen kann teilautomatisiert geprüft werden.

Interessant wird es auf der Stufe 3, wo alle relevanten Gebäudeinformationen durchgängig genutzt und die integrierte Kollaboration und Prozessautomation unterstützen. Zum Beispiel können Materialauszüge, Offertanfragen und Auswertungen, gepaart mit Lifecycle-Betrachtungen zu den angebotenen Lösungen automatisiert erstellt werden. Hier dürften die Effizienz, Qualität und Nachhaltigkeit der Bauobjekte massiv steigen.

Die vierte Stufe ist noch etwas Science Fiction: Systeme, Maschinen und Roboter
kommunizieren miteinander und nutzen IoT (Internet of Things) und KI  (Künstliche Intelligenz) beispielsweise für die automatische Steuerung und Optimierung der Baustellenlogistik.

Ein zentrales Thema ist Aus- und Weiterbildung. Oft hat man den Eindruck, dass die technische Entwicklung so schnell ist, dass die Aus- und Weiterbildung immer hinterherhinkt. Befinden wir uns hier in einem Hase- Igel-Wettbewerb?
Das Bild ist treffend. Ich bin ja selbst seit Januar an der Hochschule Luzern als Co- Studiengangleiter für zwei ganz neue Studiengänge Bachelor of Arts und Bachelor of Science in Digital Construction. Das Bildungswesen, das ist mir in den letzten Monaten deutlich geworden, hat noch eine grössere Herausforderung zu bewältigen als die Wirtschaft. Die Bildungsgefässe und Studiengänge sind auf die antiquierten Bauprozesse ausgerichtet. Wer hier umbauen will, braucht Veränderungen und neue Kompetenzen. Das führt, wie Sie sich vorstellen können, zu Unruhe.

Da muss ich gute Argumente haben …
… und ein dickes Fell. Es braucht Beharrlichkeit, um eine Bildungslandschaft umzubauen.
Es muss hier aber etwas geschehen, sonst drohen wir, den Anschluss zu verlieren.

Wir haben in den letzten fünf Jahren viel über BIM gesprochen. Und es beteiligen sich auch immer mehr Menschen an den Diskussionen. Aber wenn wir ehrlich sind, ist der Nutzen noch wenig spürbar. Ich glaube aber an den Wendepunkt.

Aus welchem Grund?
Es wurde in den letzten Jahren viel experimentiert. Wir haben wichtige Erfahrungen
gesammelt und neue Grundlagen entwickelt, die wir in den nächsten Jahren gezielt einsetzen können. Es geht hier definitiv um neue Wege. Etablierte Wege wie das SIAPhasenmodell müssen auf den Prüfstand, das ist in der aktuellen Form nicht digitaliserungskompatibel. Da braucht es neue Ansätze wie zum Beispiel das Integrated Project Delivery (IPD). Zielstellung ist dabei eine bessere Verzahnung der Projektbeteiligten, speziell auch des Planens und Bauens. Viele Bauherren wollen jetzt ein BIM-Modell. Wenn aber das Thema BIM nach der Planung aufhört und die Bauausführung konventionell abläuft, ist gar nichts gewonnen.

Wie ist der Unterschied nochmals auf den Punkt zu bringen?
Im Prinzip wechseln wir von einer sequenziellen und dokumentenbasierten hin zu einer parallelen und datenbasierten Wertschöpfungskette. Wir generieren und nutzen immer mehr Daten, von der Entwicklung über die Planung und Bauausführung bis zum Betrieb und Bewirtschaftung, also über den ganzen Lebenszyklus eines Bauobjektes.

www.hslu.ch/de-ch
www.bauen-digital.ch/de

Die mobile Version verlassen