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Energiepolitik ist Klimapolitik

Hier besteht noch Nachholbedarf: Photovoltaikanlagen könnten noch auf vielen Schweizer Dächern Platz finden.

Im europäischen Vergleich ist die Schweiz bei Wind- und Solarenergie auf den hintersten Rängen. Wegen ambitionsloser Ziele und unzureichender Massnahmen sind vor allem die Wartelisten gewachsen. Eine neue Studie zeigt, wie es vorwärtsgehen und wie die Schweiz ihre Klimaziele dank erneuerbarer Energien erreichen kann.

Anlässlich des von der SES publizierten Ländervergleichs titelte das Nachrichtenportal Watson im Mai 2018: «Gute Bedingungen, nix draus gemacht: Wir sind Europas Pfeifen bei Windund Solarenergie.» Das trifft den Nagel auf den Kopf. Auch 2019 konnte die Schweiz
keinen Platz gutmachen und bleibt abgeschlagen auf dem fünftletzten Rang aller EU-Länder. Und das, obwohl Wind- und Solarstrom mittlerweile die günstigsten Technologien für die Stromproduktion sind.

Grosse Herausforderungen – fehlende Ambitionen
Der Atomausstieg schafft einen Ersatzbedarf von rund 23 Terawattstunden (TWh;
Milliarden Kilowattstunden). Angenommen, die bestehenden Atomkraftwerke erreichen
ein Alter von 50 Jahren, geht das letzte 2034 vom Netz. Dazu kommt, dass die Schweiz gemäss dem Willen des Bundesrates bis 2050 netto null Treibhausgase ausstossen soll. Viele fossile Anwendungen insbesondere in den Bereichen Verkehr und Gebäudeheizungen werden direkt oder indirekt durch elektrische ersetzt (Wärmepumpen, Elektroautos, synthetische Treibstoffe). Das ist zwar effizienter, führt aber, wenn man einen 1:1-Ersatz
(ohne Verhaltensänderungen) annimmt, zu einem Mehrbedarf an Strom zwischen 18 und 40 TWH. Mit mehr Energieeffizienz kann dieser gering gehalten werden. Der Ersatz von Flugtreibstoffen ist allerdings noch nicht eingerechnet.

Dass es trotzdem nicht vorwärtsgeht, liegt an den fehlenden Ambitionen: Die mit der
Energiestrategie 2050 formulierten unverbindlichen «Richtwerte» sind gemessen an den Herausforderungen viel zu tief: Bis 2035 sollen mindestens 11. 4 TWh Elektrizität aus erneuerbaren Energien stammen. Damit kann gerade einmal die Hälfte des Atomstroms ersetzt werden.

Die Ziele müssen der Realität angepasst werden. Die Messlatte soll eine 100 Prozent einheimische, erneuerbare Energieversorgung sein. Um einen linearen Ausbaupfad sicherzustellen, sollten bis 2035 zusätzliche 26 TWh angestrebt werden, bis 2050
braucht es rund 45 TWh. Nur so können die Klimaziele erreicht und gleichzeitig die
Versorgungssicherheit gestärkt werden.

Investitionssicherheit Gefördert
Massnahmen, damit diese Ziele erreicht werden können, sind rasch gefragt. Das bestehende Einspeisevergütungssystem wurde beendet, ab 2020 stehen nur noch Einmalvergütungen zur Verfügung. Gerade die besonders günstigen grossen Anlagen, die keinen oder wenig Eigenverbrauch aufweisen, können mit dem heutigen System aber nicht
finanziert werden. Investoren brauchen gewisse Sicherheiten, die sie vor den Preisschwankungen am Strommarkt schützen. Diese werden mit zunehmender Durchdringung von Solar- und Windkraft in Europa zunehmen, weil die Produktion witterungsabhängig ist. In der Schweiz gibt es solche Sicherheiten heute nicht, deshalb gibt es einen regelrechten Ausbaustau mit langen Wartelisten statt realer Stromproduktion. Die
Schweizer Energieversorger investieren vorwiegend in den europäischen Nachbarländern,
weil die Investitionssicherheit für erneuerbare Kraftwerke dort viel besser ist.

Für kleinere Anlagen, zum Beispiel auf Einoder Mehrfamilienhäusern, bei denen ein Teil der Elektrizität selber verbraucht wird, macht das System der Einmalvergütungen weiterhin Sinn. Gesuchstellern wird ein Teil der Investitionskosten vergütet. Das gesetzliche Maximum von 30 Prozent wird heute allerdings nicht ausgenutzt, und das BFE senkt die Vergütungssätze laufend so stark, dass die Anreize für viele Projekte zu tief sind. Laut dem Ökonomen Dr. Rudolf Rechsteiner (siehe Infobox) sind nicht die finanziellen Mittel, sondern die Förderpolitik der Grund dafür, dass es in der Schweiz nicht vorwärtsgeht: «Bereits mit dem geltenden Netzzuschlag von 2.3 Rappen pro Kilowattstunde kann die Stromerzeugung
im Inland gestärkt und wettbewerbsfähig gestaltet werden.» Was fehle, sei eine investitionsfreundliche Strommarktordnung: «Die im Ausland erprobten Instrumente
könnten bei uns sofort eingeführt werden.» Die anstehenden Revisionen des  Stromversorgungs- und des Energiegesetzes bieten die politischen Hebel hierzu.

Raumplanung für Photovoltaik
Solarenergie braucht Platz. Auf Dächern und Fassaden ist mehr als genug vorhanden (das
Potenzial beträgt gemäss BFE 67 TWh). Weil es aber nur langsam erschlossen wird und
grosse Anlagen oft kostengünstiger sind, sind zusätzlich bestehende Infrastrukturen
zu erschliessen. Gefordert ist ein grundsätzliches Nutzungsrecht für Photovoltaikanlagen
auf Parkplätzen, Lärmschutzwänden, Zäunen und Mauern entlang von Verkehrswegen,
Stauseen und so weiter, sofern keine berechtigten Interessen dagegensprechen. Das hilft, nicht verbaute Flächen zu schonen. Um den Anliegen von Natur- und Landschaftsschutz gerecht zu werden, sind erneuerbare Energien zwingend in die Raumplanung miteinzubeziehen.

www.energiestiftung.ch

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