Das Potenzial der Digitalisierung wurde in der Corona-Krise für viele erstmals richtig greifund erlebbar. Man sah sich plötzlich konfrontiert mit Videotelefonie, Home Office, Homeschooling, Online-Bestellungen und QR-Codes. Und es hat grösstenteils gut funktioniert – das Potenzial von digitalen Hilfsmitteln im Alltag wurde entdeckt und angewandt.
Für die Bau- und Immobilienwirtschaft bietet die Digitalisierung ebenfalls immense Chancen und neue Möglichkeiten. Die Branche steht noch am Anfang, wie die neuste Ausgabe des Digital Real Estate Index des Consulting-Unternehmens pom+ zeigt. Die Schweiz erreicht dort in der Digitalisierung 4.1 von 10 Punkten. Das Potenzial ist also noch lange nicht ausgeschöpft.
DAS POTENZIAL IST RIESIG
Die Digitalisierung gestaltet bestehende Prozesse effizienter und ermöglicht neue Anwendungen wie den Einsatz von Augmented Reality, um Leitungen und Sensoren im Gebäude für Wartungsarbeiten sichtbar zu machen – wie bei Vermessungen mittels Drohnen, datengesteuerter Baulogistik oder der Qualitätssicherung durch Bildanalyse. 2-DPläne, Modelle oder Beauty-Renderings sind beispielsweise aufwendig zu erstellen und wenig flexibel in der Anwendung. Hier bietet Augmented Reality eine innovative und kostensparende Alternative zu den bestehenden Visualisierungsmöglichkeiten.
DIGITALE VERNETZUNG ALS NEUER GOLDSTANDARD
Ein gemeinsames Verständnis des Bauobjektes und eine klare Kommunikation sind zentral in der Bauwirtschaft, um Missverständnisse und somit teure Fehler zu verhindern. An jedem Bau sind zahlreiche Akteure beteiligt: vom Bauherrn über den Handwerker, das Bauunternehmen und den Architekten bis hin zum Immobilienverwalter. Jeder dieser Akteure generiert grosse Mengen an Daten, die häufig nicht gut aufeinander abgestimmt sind oder sogar ungenutzt bleiben.
Dabei wäre es wichtig, dass die bestehenden Informationslücken überwunden werden können, da dies eine Grundvoraussetzung für reibungslose Abläufe ist. Damit alle Daten-Teile ineinandergreifen können, muss die Digitalisierung übergreifend angegangen werden. Sie startet bei der Planung eines Gebäudes und wird über den gesamten Lebenszyklus aufrechterhalten. Das sogenannte Building Information Modelling (BIM) verspricht grosse Effizienzsteigerung
durch einen durchgehenden Informationsfluss. Künftig geht der Trend gar in Richtung Echtzeitübertragung der Daten. Eine solche Vernetzung erfordert von den Beteiligten viel Mut zu Veränderung, Zusammenarbeit und Transparenz, lohnt sich jedoch mit Sicherheit.
BAUBEHÖRDEN GEHÖREN MIT INS BOOT
Ein wichtiger Akteur bei jedem Bauprojekt sind die Baubehörden – deshalb hört digitale Vernetzung auch nicht am Baustellenzaun auf. Der Blick auf die kantonalen Bewilligungs- und Meldeverfahren zeigt, dass wir von der durchgängigen Digitalisierung eines Bauprojekts noch weit entfernt sind.
Viele Bewilligungsverfahren verlaufen heute noch auf Papier und nicht alle Inventare und Register sind einfach digital zugänglich. Solche Medienbrüche kosten Zeit und sind eine Fehlerquelle. Die Baubehörden sind als wichtiger Akteur in einem Bauprojekt angehalten, die Digitalisierung medienbruchfrei voranzubringen, indem sie geeignete Schnittstellen und Standards bereitstellen.
Es gibt zwar bereits einige Kantone und Gemeinden, die nun ihr E-Government- Angebot mit der Möglichkeit eines elektronischen Baugesuchs erweitern, doch sind noch lange nicht alle Kantone und Gemeinden auf dem gleichen Stand der
Digitalisierung. Basel-Stadt geht bei ihrem E-Government-Angebot beispielsweise noch einen Schritt weiter und will bis Ende 2023 alle Bewilligungs- und Meldeverfahren im Bau- und Verkehrsdepartement digitalisieren. Mithilfe der E-Government-Infrastruktur des Kantons Basel-Stadt sollen dann die Daten der Gesuche automatisiert übernommen und digital bearbeitet werden, wodurch schliesslich digitale Bewilligungen ausgestellt werden können.
«DIGITAL FIRST» SOLL ZUR REGEL WERDEN
Der Druck auf die Behörden, ihre Dienstleistungen vermehrt digital anzubieten, wächst. Der Bundesrat hat den Handlungsdruck erkannt und dieses Jahr ein Digitalisierungs-Gesetzesprojekt für die öffentliche Verwaltung lanciert. Das Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (EMBaG) will erstmals die öffentliche Verwaltung verpflichten, ihre Dienstleistungen konsequenter digital anzubieten. Mit der zunehmenden Digitalisierung der Behörden wird eine wichtige Lücke in der umfassenden Vernetzung aller Beteiligten in der Bau- und Immobilienwirtschaft geschlossen.
Nur wenn das Potenzial der Digitalisierung von allen Beteiligten erkannt und ausgeschöpft wird, können Effizienzgewinne realisiert werden. Es ist daher an der Zeit, dass sich alle – von der Planung über die Bauherrschaft bis zur Bewilligung und Bauleitung – mit der Digitalisierung auseinandersetzen und sie als Chance für das eigene Tätigkeitsgebiet nutzen. Nur mit gemeinsamen Anstrengungen und den politischen Rahmenbedingungen kann der Wandel gelingen. Die Technologien sind da. Jetzt gilt es, sie konsequent einzusetzen.
Andreas W. Kaelin
ist Stellvertretender Geschäftsführer
bei digitalswitzerland.