bauRUNDSCHAU

HERAUSFORDERUNGEN MEISTERN

Neue Fassade für das Haus Seewiesen, Bahnhofstrasse 10, Davos Dorf. Studentin: Adriana Margreth, FHGR.

Solarfassaden im alpinen Raum – Einsatz bei Gebäudeerneuerungen

Während Photovoltaikanlagen auf Dächern inzwischen weit verbreitet sind und bei Neubauten Photovoltaik sowohl auf Dächern als auch an den Fassaden eingesetzt wird, gibt es bis heute nur einen geringen Anteil an Beispielen von integrierter Photovoltaik in der Gebäudefassade bei bestehenden Gebäuden. Insbesondere bei Bauwerken, die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurden, fehlt bis anhin eine kreative Methodik.

Die Nutzung von Solarenergie wird aufgrund der Ressourcenknappheit und der Klimaerwärmung immer wichtiger. Auch Gemeinden sind immer mehr im Zugzwang. Die Schweizer Regierung hat mit der Energiestrategie 2050 beschlossen, die Förderung von Elektrizität aus Photovoltaikanlagen zu verstärken. 22 Prozent des Strombedarfs werden wohl bis 2050 aus Photovoltaikanlagen gewonnen werden. Damit ist Photovoltaik ein wesentlicher Grundpfeiler des AKW-Ersatzes. Im Zusammenspiel mit Speichermöglichkeiten wie Batterien, Wasserstoff oder Methanol lässt sich mit der Photovoltaik eine autarke Strom- beziehungsweise Energieversorgung erzielen. Im Jahr 2020 lag der Anteil an Solarenergie gemessen am gesamten in der Schweiz verbrauchten Strom lediglich bei 4.66 Prozent.

Das schweizerische Bundesamt für Kultur (BAK) hat 2018 die europäisch abgestützte Initiative zur Förderung der Baukultur indiziert und Qualität im Bauen eingefordert. Sie sucht auch aufgrund der zukünftigen Herausforderungen, «die kulturellen Aspekte des Bewahrens, Planens und Bauens anzuerkennen und eine hohe Baukultur als vorrangiges politisches Ziel» zu etablieren. Die Erklärung von Davos versteht sich nicht als bewahrendes Instrument, sondern als eines, durch das sich die Architektur und die Gesellschaft stetig weiterentwickeln und verändern können. Gerade in der Schweiz, mit ihrer vielfältigen und lebhaft hohen Baukulturen und den vielen Besonderheiten in den Gemeinden, ist ein sorgfältige Planung essenziell. Die Gemeinden sind heute im Zugzwang, Photovoltaikanlagen in jedem Fall zu genehmigen. Die hohen Energiepreise haben diesen Druck weiter erhöht.

Photovoltaikanlage bei bestehenden Gebäuden

Technisch sind die eingesetzten Produkte ausgereift und die Lösungen marktfähig. Überzeugende architektonische Resultate sind für Neubauten vorhanden. Die wenigen existierenden Beispiele von Solarfassaden bei Umbauten und Sanierungen wurden aufgrund von schlechter Gestaltung oft negativ aufgenommen. Erst recht, wenn der ursprüngliche Bau architektonische Qualitäten aufweist, sich die Bauten in historischem Kontext befinden oder das Dorfbild durch das Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz ISOS-geschützt ist. Daher existieren von verschiedenen Seiten berechtigte ästhetische, aber auch funktionale Vorbehalte gegenüber Sanierungslösungen mit Solarfassaden. Gerade im alpinen Raum sind viele historische Dorfzentren durch das ISOS geschützt und die grosse Anzahl von schützenswerten historischen Bauwerken sollen ihren gesellschaftlichen und architektonischen Wert nicht verlieren.

Die Anwendung von Photovoltaik ist bei kleinen Einzelbauten und ihren jeweils spezifischen Lösungen eher teuer. Bei einer ganzen Siedlung oder grossen Dachflächen wird die Installation effektiver, da Lösungen wiederholt werden können und eine grössere Gesamtfläche installiert werden kann. Hier kann mit einem einheitlichen System agiert werden, was auch finanziell Sinn macht. In der Schweiz würde es genügen, wenn circa 40 Prozent der verfügbaren Dachflächen mit Solarpanelen belegt werden, um den zusätzlich benötigen Strom zu produzieren.

Methodik mit Beispielen aus Davos

In einem Forschungsprojekt der Fachhochschule Graubünden wird die Umsetzung von Solarfassaden an der bestehenden Bausubstanz überprüft und gestalterisch weiterentwickelt. Anhand von Projektarbeiten an konkreten Beispielen entwickelten die Architekturstudierenden im Herbstsemester 2021 mögliche Strategien, wie mit Solarfassaden bei einer Sanierung in der Gemeinde Davos umgegangen werden könnte. Die Projekte beschäftigen sich vor allem mit der noch nicht thermisch sanierten Bausubstanz nach dem Zweiten Weltkrieg.

Klare Ergebnisse

Ein riesiges Potenzial besteht bei der bestehenden Bausubstanz, die rund um die historischen Kerne entstanden ist, also meist in der Agglomeration steht. Hier besteht der grösste Spielraum bei einer Sanierung mit Solarfassaden. Zentral ist aber, dass die ursprüngliche Idee eines Baus nicht vollends durch den Einsatz der neuen Technik verloren geht, sondern weiterentwickelt wird und dadurch der Bau insgesamt an Kraft und Ausdruck gewinnt. Eine Solaranlage muss heute nicht einfach eine schwarze Fläche sein. Da ist viel mehr möglich.

Im historischen Kontext und im Bereich des ISOS kann nur mit sehr viel Fingerspitzengefühl agiert werden. Der mögliche Verlust an bestehenden architektonischen Qualitäten darf nicht unterschätzt werden. Diese Gebäude bestehen oft seit Jahrhunderten und haben allein schon durch ihr langes Bestehen eine sehr positive Energiebilanz.

Der Einsatz von Photovoltaik verändert bestehende Gebäude. Gebäude, die eine hohe baukulturelle Bedeutung haben, können je nach Situation weiterentwickelt werden, doch gibt es auch Grenzen, wenn ein hochwertiger Bau in seinem bestehenden kulturellen Wert Schaden nimmt. Bauten müssen nach einem Eingriff nicht nur technisch, sondern auch in ihrer baukulturellen Bedeutung stärker sein als vorher. Es gibt Bauwerke, aber auch ganze Dorfzentren, die beispielsweise unter dem Schutz des ISOS stehen und bei denen es keinen Sinn macht, Photovoltaik forciert einzusetzen. Es existieren auch andernorts Flächen, aber auch andere Energieformen, die zur Energiegewinnung genutzt werden können.

Die «Speckgürtel» rund um die dörflichen, aber auch städtischen Zentren sind oft nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden und nicht unbedingt von allzu hoher baukultureller Qualität geprägt. Gerade hier gibt es viel Potenzial für die innovative Anwendung von Photovoltaik. An allen von den Architekturstudierenden der FHGR bearbeiten Bauten in Davos war die Integration durchaus möglich, doch konnte Photovoltaik nicht einfach montiert werden, sondern der Bau musste neu gedacht und interpretiert werden. Eine Sanierung einer Fassade kann so dazu führen, dass die Chance ergriffen wird, den Bau auch in seinen Grundrissen auf den heutigen Stand zu bringen.

Neue Anwendungsmöglichkeiten von Photovoltaik eröffnen den Planern neue gestalterische Möglichkeiten, die es auch zu nutzen gilt. So plant die Studentin Nadja Schürmann eine Solarfassade am Hotel Waldhaus Davos aus beweglichen, verschiedenfarbigen Paraventelementen, um Schatten zu spenden.

Die Studentin Norma Müller kleidete den von Gigon Guyer errichteten Werkhof der Gemeinde Davos ganz in eine Photovoltaikfassade ein. Dieser Wechsel von einem Holzbau zu einem technischen Bauwerk ist sicherlich schlüssig und sinnvoll. Schwieriger wird es bei prägnanten Bauwerken. Neuinterpretationen sind hier nur möglich, wenn ein Bau vollkommen neu gedacht wird. Die Bahntrasse der Parsennbahn wird von den Studierenden Daniel Gander und Jan Feldmann mit Photovoltaik umhüllt. Wenn die Bahn durch den Tunnel fährt, öffnet sich die Photovoltaik dort, wo sich der Zug befindet, um Aussicht zu gewähren. Eine solche Neuinterpretation verändert einen Bau stark. Bei baulichen Leuchttürmen ist eine Neuinterpretation der baukulturell hochwertigen Bauten eher schwierig, ohne auch einen grossen Verlust zu erzeugen.

Generell ist es wichtig nicht auf eine einzige Massnahme zu setzen, sondern ein integrales Konzept zu entwickeln, das Nachhaltigkeit mehrschichtig und aus verschiedenen Blickwinkeln (Architektur, Nutzung, Technik, Ort) behandelt. Nur so können für spezifische Situationen auch individuelle Lösungen entwickelt werden. Und diese Lösungen sind nie rein technischer Natur und müssen den spezifischen Situationen angepasst werden.

Solarfassade am Hotel Waldhaus Davos aus beweglichen Paraventelementen, um Schatten zu spenden. Studentin: Nadia Schürmann, FHGR.

Baukultur ernst nehmen

Gemeinden sind oft überfordert mit den Bewilligungen für Solaranlagen. Sie sind bestrebt, Solarenergie zu fördern, doch fehlen ihnen oft die Werkzeuge, um qualitative Entscheide zu treffen. Für die Gemeinde Davos wird von der Fachhochschule Graubünden derzeit ein Leitfaden entwickelt, wie sie mit Gesuchen für Photovoltaikfassaden umgehen soll. Die FHGR unterstützt auch andere Gemeinden bei der Entwicklung von spezifischen Leitfäden analog zu demjenigen für Davos.

Baukultur und Solarenergie sind keine Kontrahenten. Es liegt an den Planern, nicht nur technische, sondern auch baukulturell sinnvolle Lösungen zu erarbeiten

www.fhgr.ch

Die mobile Version verlassen