Die Sorge um eine ausreichende Versorgung der Schweiz mit Energie in diesem Winter hat das öffentliche Bewusstsein für nachhaltige Lösungen im Gebäudesektor geschärft. Vor diesem Hintergrund lud der Verein ‹Building and Renewable Energies Network of Technology› (brenet) im September zum traditionellen Status-Seminar nach Aarau. Unter dem Titel ‹SustainDesign› diskutierten Expertinnen und Experten aus Forschung, Industrie und Verwaltung nutzerfreundliche und resiliente Gestaltungsansätze für einen nachhaltigen Schweizer Gebäudepark.
2001 haben sich Institute von Fachhochschulen, Empa und unabhängigen privaten Organisationen zum Nationalen Kompetenznetzwerk im Bereich Gebäudetechnik und Erneuerbare Energien (brenet) zusammengeschlossen, um Lösungen für eine nachhaltige Zukunft des Schweizer Gebäudeparks zu erforschen. Die jüngste Ausgabe des zweitägigen brenet-Status-Seminars fand in diesem September unter besonderen Vorzeichen statt: Die Schweizer Bevölkerung ist in der ungemütlichen Lage, dass die Versorgungssicherheit insbesondere mit Gas und Strom nicht mehr selbstverständlich gewährleistet ist wie in den Jahrzehnten zuvor. Ein Grund, wieso sich viele Menschen Gedanken machen, wie sie persönlich ihren Energieverbrauch drosseln bzw. nachhaltig gestalten können.
Kurz-, mittel- und langfristige Perspektive
Auf diesen Kontext bezog sich Dr. Jörg Spicker, Senior Strategic Advisor bei der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid, in seinem Keynote-Referat am Status-Seminar. Die drohende Mangellage sei nicht nur Folge der russischen Exportpolitik der letzten Monate, sondern auch von Versäumnissen in der Vergangenheit, sagte Spicker. Zu den Gründen gehörten der mangelnde Ausbau von Produktions- und Netzkapazitäten und die Blockade beim Stromabkommen mit der EU. Mit Blick auf die inländische Stromproduktion meinte Spicker, die Verfügbarkeit der Kernkraftwerke sei aktuell gut, während im Bereich der Wasserkraft sowohl die Füllstände der Speicherseen als auch die Produktion der Laufwasserkraftwerke aufgrund der Trockenheit in den letzten Monaten unter dem mehrjährigen Mittel liegen würden.
Die gut 100 Fachpersonen aus dem Gebäudesektor, die sich im Kultur- & Kongresshaus von Aarau zum brenet-Status-Seminar trafen, waren sich bewusst, dass sie mit ihrem Einsatz für eine nachhaltige Energieversorgung des Schweizer Gebäudeparks kaum zur kurzfristigen Verbesserung der Lage beitragen können. Um so wichtiger ist ihr Einfluss mittel- und langfristig. Rund ein Drittel der Treibhausgas-Emissionen in der Schweiz entfallen auf den Gebäudesektor. Da zählt eine Bauweise, die Gebäudetechnik und architektonische Gestaltung so in Einklang bringt, dass bei einem minimalen Einsatz von Ressourcen ein maximaler Nutzen resultiert. Dazu muss z.B. ein Gebäude in einer Weise gebaut werden, dass sich über die Jahre ändernde Nutzungsansprüche möglichst ohne aufwändige Neu- oder Umbauten realisieren lassen. Die Veranstalter stellten die Tagung denn auch unter den Leitbegriff «SustainDesign», der dieses Anliegen prägnant zusammenfasst. «SustainDesign», «Netto Null und graue Energie» sowie «Strategische Energieplanung» waren die Fokusthemen des ersten Tages, während der zweite Tag im Zeichen der angewandten Forschung im Bereich des nachhaltigen Bauens stand.
Von der Baugrube bis zum Dachaufbau
Prof. Matthias Sulzer berichtete in Aarau über die Ergebnisse einer Studie des ‹Urban Energy Systems Laboratory› an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa. Die Forschenden untersuchten die Frage, wie sich der Heizenergieverbrauch des Schweizer Gebäudebestands von 65 TWh (2019) bis im Jahr 2050 um 20 TWh senken lässt, um das politisch vorgegebene Netto-Null-Ziel – also die weitgehende Vermeidung von Treibhausgas-Emissionen – zu erreichen. «Die Ergebnisse haben gezeigt, dass die gängigsten energetischen Sanierungen (Fenster, Dach) zusammen mit einer heutigen Sanierungsrate von rund 1 % des Gebäudebestands pro Jahr nicht ausreichen, um die angestrebte Reduktion zu erreichen», sagte Sulzer. «Werden tiefergehende energetische Sanierungen berücksichtigt (z.B. Fenster-Wand-Dach und Vollsanierungen), kann die angestrebte Reduktion mit einer Sanierungsrate von rund 2.4% erreicht werden.» Würden die Gebäude mit der grössten Einsparwirkung zuerst saniert, könnte die Sanierungsrate auf 1.1 % gesenkt werden. Die Forschenden wollen jetzt klären, wie die Gebäude mit dem grössten Sanierungspotential identifiziert und zur Sanierung gebracht werden können.
Weitere wissenschaftliche Arbeiten der jüngsten Vergangenheit fokussierten auf bestimmte Aspekte des Bauprozesses bzw. der Gebäude. Basil Hertweck (Intep, Zürich) richtete ein Augenmerk auf ‹E-Baustellen›, also Baustellen, auf der Baumaschinen mit Elektroantrieben statt fossilen Motoren eingesetzt werden. «Mit elektrischem Antrieb können ca. 60% der Treibhausgas-Emissionen aus Baumaschinen eingespart werden. Im Vergleich zu den totalen Lebenszyklus-Emissionen eines Gebäudes ist der Anteil der Baustelle jedoch gering. Für die Erreichung des Netto-Null Ziels ist dieser Beitrag dennoch wertvoll», sagte Hertweck. Alexandra Kuhn fokussierte auf die Treibhausgas-Emissionen, die bei der Erstellung von Untergeschossen für Hochbauten entstehen. Die Emissionen werden u.a. durch Gebäudegeometrie, Untergrund und Platzverhältnisse auf der Parzelle beeinflusst. Eine wichtige Erkenntnis: Tendenziell sollten Baugruben wenn immer möglich geböscht werden, denn aufwändige Baugrubensicherungsarten und Pfähle sind grosse Verursacher von CO2-Emissionen. Auch geringere Einbautiefen können zu reduzierten Emissionen führen. Eine Studie unter der Leitung von Prof. Daia Zwicky (Hochschule für Technik und Architektur Fribourg) untersuchte die grauen CO2-Emissionen und Baukosten, die bei Aufstockungen bestehender Gebäude anfallen. «Es besteht ein gewisser Zielkonflikt in der Optimierung von zusätzlichem Gebäudegewicht, Baukosten und grauen CO2-Emissionen», so Zwicky. «Die gegenwärtige Praxis mit Leichtbauweisen in Holz oder kaltverformten Stahlprofilen macht die Sache schon ganz gut.»
Breitenwirkung erzielen
Nicht zu unterschätzen sind die graue Energie und Treibhausgas-Emissionen von Baumaterialien. Auf diesen Aspekt ging in Aarau unter anderem Dr. Niko Heeren (Amt für Hochbauten der Stadt Zürich) ein. Er berichtete über die Herausforderung des Netto-Null-Ziels der Stadt Zürich. Insbesondere die materialbedingten Treibhausgas-Emissionen seien aktuell nur schwer zu reduzieren. Entlang eines Absenkpfads sollen die Emissionen der stadteigenen Gebäude schrittweise gesenkt werden. Wichtige Beiträge hierzu leisten u.a. eine erhöhte Materialeffizienz, Holzbau oder alternative Baumaterialien mit geringer Treibhausgas-Intensität. Niko Heerens Fazit: «Alle am Bauen Beteiligten müssen zusammenwirken. Materialeffizienz kann bereits heute effektiv umgesetzt werden, während die Dekarbonisierung in der Materialherstellung nur langsam voranschreitet.» Gemeinsam mit Simon Ammann (Baudirektion Kanton Zürich) sprach Niko Heeren über die Bedeutung des Baustoffs Holz zur Erreichung des Netto-Null-Ziels im Kanton Zürich: «Bei einem realistischen Szenario können mit einem höheren Anteil an Holzbauten 4 % der kumulierten Treibhausgasemissionen bis 2050 aus der Erstellung des zukünftigen Gebäudeparks eingespart werden», sagte Heeren. «Berücksichtigt man zudem die Speicherleistung des Holzes, ergibt sich ein zusätzliches theoretisches Potential von ca. 18 %.» Die Wirkung der Kohlenstoffeinspeicherung von Holz und anderen Baustoffen und deren Anrechnung bei der Erreichung des Netto-Null-Ziels sind unter Fachleuten allerdings umstritten. Kritiker argumentieren, diese Einspeicherung könne nicht mit den Gebäudeemissionen gegengerechnet werden, denn nur langfristig garantierte Kohlenstoffspeicherung und -stilllegung erziele einen positiven Effekt für das Klima.
Ansätze für nachhaltiges Bauen gibt es viele, und doch stellt sich immer wieder die Frage, wie wirkungsvolle Ansätze einen möglichst breiten Impact entfalten. Einen wichtigen Hebel haben Immobilienfirmen, die grosse Wohnungsbestände verwalten. «Die Bau- und Immobilienbranche kann einen Paradigmenwechsel im Kontext der Nachhaltigkeit und weiterer Megatrends bewirken», betonte Marc Eschler von der bonacasa AG (Oensingen/SO) in seinem Keynote-Referat. Das Unternehmen hat Standards entwickelt, die eine nachhaltige Bauweise mit intelligenter Haustechnik und Concièrge-Dienstleistungen verbindet. Unterdessen sind landesweit über 10’000 Wohnungen mit Smart-Living-Lösungen unter Vertrag. Auf Breitenwirkung hat es auch ein Projekt von Prof. Lionel Rinquet (Haute école du paysage, d’ingénierie et architecture de Genève/hepia) angelegt: Er berichtete am Status-Seminar über Instrumente, die den Gemeinden des Kantons Genf helfen, Eigentümer von sanierungsbedürftigen Gebäuden anzusprechen.
Innovation im HLK-Bereich
Das brenet-Status-Seminar leistet einen Beitrag zum Wissenstransfer an der Schnittstelle zwischen Forschung und Industrie. Die Firma Belimo (Hinwil/ZH) ist eine weltweit tätige Anbieterin für elektrische Antriebslösungen und Sensoren in der Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik. Durch den starken Technologiebezug seiner Produkte sind Forschung und Innovation für das Unternehmen von strategischer Bedeutung. So war es interessant zu hören, wie Belimo-Forschungschef Dr. Roman Kappeler in seinem Keynote-Referat die Forschungskooperationen zwischen Industrie und Hochschulen beurteilte. Zwar sind laut Kappeler in der Schweiz ausgewiesene Forschende zu finden, aber die Zusammenarbeit scheitere mitunter an unterschiedlichen Auffassungen über das geistige Eigentum. Dieses «muss klar den Firmen gehören», sagte Kappeler und sprach sich für eine gesamtschweizerische Regelung in diesem Bereich aus.
Für Belimo ist es entscheidend, an Hochschulen Partner für schnelle Innovationen zu spezialisierten Fragestellungen zu finden, beispielsweise eine Anwendung von Artificial Intelligence im HLK-Bereich. Dazu eine qualifizierte Forschergruppe zu eruieren und ein gemeinsames Projekt aufzugleisen, sei heute schwierig, meinte Kappeler. Er verwies auf die USA, wo es ein universitäres Forschungsprogramm für die Entwicklung und Bewertung von Hochleistungstechnologien für Gebäude gibt. Das Institut versammelt acht Professoren und 20 Industriepartner, die die industrienahe Forschungseinrichtung jährlich mit einer Million US-Dollar alimentieren. «Man kann das in der viel kleineren Schweiz so nicht 1zu1 umsetzen, aber vielleicht ist das Inspiration für eine andere Lösung», meinte Roman Kappeler.