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Massiv und doch ganz leicht – Minimalistischer Monolith aus Beton

Beton hat den Ruf, schwer und ästhetisch klobig zu sein. Das folgende Beispiel belegt das Gegenteil. Beton kann sogar eine filigrane Rolle spielen. Neue Verarbeitungstechnologien machen den Einsatz von Infraleichtbeton möglich. Das ist die Zukunft des Bauens.

Der Neubau des zweigeschossigen Einfamilienhauses in Aiterbach am Chimsee in Bayern (D) ist eine echte Attraktion: ein minimalistischer Monolith, dessen oberer massiver Riegel sich elegant über die beschaulich ländliche Gegend erhebt und dabei fast zu schweben scheint. Der reduzierte und zeitlose Entwurf des Architekten Michael Thalmair ist aber nicht nur ein gelungener Blickfang, sondern auch in anderer Hinsicht eine Besonderheit: Die 50 Zentimeter starken Aussenwände des Gebäudes bestehen aus Infraleichtbeton mit einer Rohdichte von nur 700 kg / m³. Der Weg zur Realisierung dieses Leuchtturmprojekts war für alle Beteiligten eine spannende Herausforderung, die sie gemeinsam gemeistert haben.

Das grosszügige Obergeschoss des eleganten Wohnkubus mit insgesamt 152 m² Wohn- und 38 m² Nutzfläche beherbergt ein Schlafzimmer, Bad und einen grossen offenen Wohnraum mit integrierter Küche und Essplatz. Die raumhohen und -breiten Panoramafenster des rund 50 m² messenden Wohnraums bieten einen grandiosen Ausblick aufs Isartal sowie das Umland von Aiterbach und sorgen gleichzeitig für eine gute Durchlichtung der Loft-ähnlichen Wohnetage.

Das Untergeschoss des Einfamilienhauses ist geschickt in den Hang des Grundstücks eingebunden und verleiht damit dem darüber liegenden Wohnriegel eine gewisse Leichtigkeit, sodass das Gesamtensemble nicht zu massiv wirkt. Im Innern des unteren Geschosses befinden sich jeweils ein Kinder- und Arbeitszimmer, eine Sauna, Kellerräume sowie ein Technikraum mit Heizung und Waschmaschine.

Die Aussenwandverkleidung aus schwarzem sägerauem Holz setzt einen natürlichen Akzent zum Gesamtbild des Hauses in Sichtbeton genau wie die massiven Holzbohlen der Terrassen. An der rechten Flanke des Neubaus befindet sich eine Betonfertigteilgarage, die aus einem Guss angeliefert wurde.

Wissenschaftliche Unterstützung
Das Untergeschoss und auch der Innenausbau des Neubaus sind konventionell in 24 Zentimeter starken, wasserundurchlässigen Stahlbetonwänden mit 14-Zentimeter-XPS-Dämmung ausgeführt worden. Für die monolithische Gestaltung der 50 Zentimeter starken Aussenwände des Gebäudes schwebte den Verantwortlichen indes etwas ganz anderes vor: Infraleichtbeton – ein moderner Hochleistungsbaustoff, der in der richtigen Mixtur Tragfähigkeit, Nachhaltigkeit, gute Dämmwerte und eine ansprechende Sichtbetonoptik vereint. Doch die richtige Zusammensetzung herzustellen, erfordert viel Erfahrung, zumal für den Verbau von Infraleichtbeton eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) erforderlich ist. Deshalb wandte sich die Baufirma Adldinger an Heidelberger Beton und deren Prüfstellenleiter Björn Callsen. Im Betonlabor von Heidelberger Beton in München fanden die ersten Versuche statt. Auf dem weiteren Weg zur idealen Mischung beauftragte Betonexperte Callsen die Experten der UniBW (Universität der Bundeswehr München) und Prof. Karl-Christian Thienel, das Projekt zu begleiten. Dem Institutsleiter und seinen Mitarbeitern gelang es letztendlich, die notwendigen Probekörper für die ZiE herzustellen. Dabei musste das Team einige Hürden nehmen: «Die Entwicklung einer robusten Rezeptur war sehr komplex, dafür waren viele Laborversuche notwendig. Durch den Einsatz von zwölf Rohstoffen – acht davon waren auf der Mischanlage nicht standardmässig vorhanden – war das Gemisch anfangs nicht stabil und musste feinjustiert werden», erklärt Björn Callsen. Zudem betrug die Fahrzeit vom Transportbetonwerk zur Baustelle bis zu 90 Minuten, weshalb im Vorfeld eine ausreichend lange Verarbeitbarkeit sichergestellt sein musste. Und weil das Trennmittel grossen Einfluss auf die Oberflächeneigenschaften hat, testete man im Labor und auf der Baustelle an Erprobungs­flächen mit den Originalwandhöhen von vier Metern so lange, bis das geeignete Produkt gefunden war. «Auch die für den Beton ­optimale Verdichtungsleistung mit Rüttelflaschen haben wir direkt auf der Baustelle erprobt», sagt Callsen.

Vor Ort wurde dann neben den Aussenwänden auch der auskragende Deckenbereich des Obergeschosses aus Infraleichtbeton erstellt. Im Bereich der Untergeschossdecke wurde die Normalbetondecke im Innenbereich mit der Infraleichtbeton-Decke im Aussenbereich zusammengefügt. Daher dämmt der Hochleistungsbeton auch im Fensterbereich das Gebäude gut ab. Für die in der Schalung gegossenen vier Meter hohen Probekörper fand sich später sogar eine Verwendung: Sie werden künftig als Sitzelemente im Vorgarten und auf der Terrasse dienen.

Die ideale Betonrezeptur
Der hoch wärmedämmende Infraleichtbeton sollte letztendlich eine Rohdichte von 700 kg / m³ bei einer Druckfestigkeit von > 8 N / mm² verfügen, was mit einem entsprechenden Vorhaltemass erreicht wurde. Die Einbaukonsistenz hatte ein Verdichtungsmass von C4. Um eine niedrige Wärmeleitfähigkeit von Lambda < 0.185 W / mK zu erzielen, wurde dem Leichtbeton ein  Blähglasgemisch (Liaver) und Blähton (Liapor) zugeführt. Ausserdem kam noch ein fein abgestimmtes System aus Zusatz­mitteln und Zusatzstoffen von SIKA sowie ein spezielles Zement- und Bindemittel­gemisch hinzu. Damit gelang es den Experten, die Rezeptur auf die zu erwartende Hydratationswärmeentwicklung in den 50 Zentimeter starken Wänden abzustimmen. Die Hydratationswärmeentwicklung massen die Experten an den Erprobungsflächen und am Bauteil mittels Datenlogger und eingebauten Fühlern. Der Frischbeton wurde zusätzlich durch Zugabe von Scherbeneis gekühlt.

Fragt man Björn Callsen, was ihn besonders an diesem Projekt reizte, war es einerseits die Chance zur Entwicklung eines innovativen Baustoffs. «Diese Herausforderung stellt sich einem Lieferanten und Betontechnologen nicht alle Tage.» Andererseits beeindruckte ihn die partnerschaftliche Zusammenarbeit aller Betei­ligten. Dem stimmt Michael Thalmair zu: «Alle waren sehr engagiert. Björn Callsen und die Mitarbeiter des Betonlabors waren bei allen Versuchen, Test- und Haupt­betonagen vor Ort.»

Ungewohnter Anblick
Einheitlicher, glatter Beton aussen und innen, eine riesige lichtdurchflutende Fensterfront am Vorderteil des Hauses und vor allem: kein Schrägdach! Das Wohnhaus bietet für manchen der Einwohner von Aiterbach einen ungewohnten Anblick im Vergleich zu den umliegenden Einfamilienhäusern mit Giebeln, Gauben und Gartenzäunen. Das ist in dörflichen Strukturen zunächst ein Kulturbruch. Aber nach einiger Zeit der Irritation gewöhnte man sich an den besonderen Bau.

Inzwischen könnten sich sogar einige ein Haus in diesem Stil als Eigenheim vorstellen, und mancher bereut sogar, dass er nicht im Vorfeld mehr Energie in die eigene Hausplanung gesteckt habe. Auch die Energiebilanz des Neubaus wird günstig ausfallen: Das Haus wird mit einer Luftwärmepumpe betrieben, und im Erdgeschoss befindet sich sehr zentral ein Kaminofen (11 KW), der die Hauptwohnräume zusätzlich mit Wärme versorgt. Durch die guten Dämmwerte des Infraleichtbetons wird Wärme über eine längere Zeit im ­Beton gespeichert und ins Innere abgegeben.

Innovativer Baustoff mit Zukunft
Trotz der hervorragenden Eigenschaften von Infraleichtbeton wird es vielleicht noch dauern, bis sich das flexible Material bei Bauherren und Architekten durchsetzt: Die Zulassung im Einzelfall ist dabei sicher kein geringes Hemmnis – auch in finanzieller Hinsicht. Rüdiger Schemm vom Informationszentrum Beton leugnet das nicht. Trotzdem ist Infraleichtbeton für den Gebietsleiter Marketing das ideale Material für monolithische Bauwerke: «Ein aus Infra­leichtbeton erstelltes Gebäude ist aus einem Guss, es wird förmlich aus einem Block herausgearbeitet und hat damit etwas von einer Skulptur – wie ein Kunstwerk. Es entstehen kaum Fugen im Sichtbeton, die geschlossene, tragende Gebäudehülle wird zum optisch ansprechenden Gestaltungsmittel. Gleichzeitig hat Infraleichtbeton wegen seiner geringen Trockenrohdichte unterhalb 800 kg / m3 und des hohen Porengehalts hervorragende Wärmedämm­eigenschaften und sorgt damit für ein gutes Raumklima, weil es Feuchtigkeitsschwankungen ausgleicht.» Infraleichtbeton ermöglicht Bauherrn und Architekten Schemms Ansicht nach die Gestaltung von ganz individuellen, grosszügigen und vor allem energieeffizienten Häusern. Zumal das natürliche Material voll recyclingfähig ist. Sein Fazit: «Gebäude aus Infraleicht­beton sind ein zukunftsfähiges Konzept für optisch ansprechendes und nachhaltiges Bauen.»

Weitere Informationen:
www.beton.org

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