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Minergie im Zeichen der Energiewende

Der SonnenparkPLUS in Wetzikon (ZH) produziert mehr Energie auf dem Dach und an der Fassade als im Alltag gebraucht wird.

Minergie muss sich als Baustandard, der der Qualitätssicherung dient, immer wieder an die neuen Rahmenbedingungen anpassen. Gerade in Zeiten der Energiewende gilt es, neue Herausforderungen mit einzubeziehen. Wir trafen den Geschäftsleiter von Minergie Schweiz, Andreas Meyer Primavesi, an der Swissbau.

Erneuerbar heizen ist auch an der Swissbau ein Riesenthema. Wir sind aber immer noch, was die Heizungen betrifft, im fossilen Zeitalter – die Statistiken sind ziemlich eindeutig. Wie ist Minergie beim Thema Klimawandel oder Dekarbonisierung aufgestellt?
Es gibt in den nächsten Jahrzehnten eine zentrale Herausforderung: Im Winter wird erneuerbare, saubere Energie ein knappes Gut sein. Im Sommer wird Strom dank  Photovoltaik zeitweise im Überschuss vorhanden sein. Diesen Strom können wir dann
nutzen, um die Kühlung der Gebäude zu gewährleisten. Wir müssen daher den Fokus
verändern, mehr saisonal denken. Im Winter sollten die Minergie-Gebäude energieeffizient
sein und selbstverständlich ohne fossile Brennstoffe beheizt werden. Im Sommer sollten wir die Überschussproduktion speichern für den Winter. Die kommenden Sommer konfrontieren uns aber auch mit längeren Hitzeperioden. Früher kühlten in unseren Breitengraden über Nacht die Gebäude von alleine aus. Das wird sich ändern.

Müssen wir zukünftig unsere Gebäude im Sommer kühlen?
Wir sollten zunächst einen kühlen Kopf bewahren. In einer Hauruck-Übung, die Ölheizung auszubauen und irgendeine Luft-Wasser-Wärmepumpe einzubauen, ist oft nicht zielführend. Das Gleiche gilt für die Kurzschlussaktionen, die wir vermehrt im Sommer in den Baumärkten erleben, wenn mobile Kühlgeräte gekauft werden. Diese Produkte bringen zu wenig und sind pure Energiefresser. Es braucht zunächst einige grundsätzliche Überlegungen, die mehr bieten als eine einfache Rein-Raus-Strategie. Die Minergie-Orientierung mit den Baustandards im Gepäck ist hier eine Grundlage. Zudem gibt es viel intelligentere, effektivere und langfristig günstigere Lösungen. Im Idealfall nutzt man die eigene PVAnlage, um im Sommer das Gebäude zu kühlen und gleichzeitig die Erdsondenfelder zu regenerieren.

Wir stehen hier am Minergie-Stand an der Swissbau auf Holzschnitzeln. Was kann Holz zur Energiewende beitragen? Holz als Baustoff im urbanen Raum gewinnt ja wieder an Bedeutung. Holz als Heiz-Energie aber auch. Wie ist Ihre Sicht der Dinge? 
Ich sehe zwei grosse Vorteile und einen kritischen Punkt. Ich fange mit dem kritischen
Punkt an. Moderne Holzfeuerungen emittieren viel weniger Feinstaub als die klassischen Stückholzfeuerungen oder Cheminées – die sind bezüglich Luftverschmutzung bedenklich. Eine moderne Pelletfeuerung hat weit geringere Feinstaubemissionen, aber halt immer noch mehr als eine Gasfeuerung. Aber wir sprechen ja nicht von 100 Prozent Holzfeuerung – es droht also kein wesentlicher Rückschritt bei der Luftreinhaltung.

Jetzt kommen die positiven Punkte…
Das Positive betrifft zwei Punkte. Da ist zunächst das Thema Saisonalität. Holzenergie
kann man einfach vom Sommer in den Winter überführen. Man hat die CO2-neutrale Energie zur Verfügung, wenn man sie braucht. Und mit Holz kann man problemlos sehr hohe Vorlauftemperaturen generieren. Das ist ein Riesenvorteil, gerade beim Ersatz von Ölfeuerungen.

Kommen wir zum Thema Lüftung. Minergie hat ja von Haus aus den Ansatz, dass die Gebäudehülle dicht ist und eine Lüftung das Mikroklima im Innenraum regelt. Ist das eine Herausforderung in Anbetracht der heisser werdenden Sommer? 
Nein, im Gegenteil. Eine Lüftung ist zwar grundsätzlich keine Kühlung. Sie kann aber in Sommernächten ihre Vorteile ausspielen. Dann kommt die sogenannte Nachtauskühlung zum Zug. Da gilt es, die Themen Sicherheit und Witterung auf dem Schirm zu haben. Die meisten von uns können sich vorstellen, in der Nacht das Fenster zu öffnen, aber in öffentlichen Einrichtungen wie einer Schule ist es nicht so einfach. Es darf dann nicht regnen und es darf dann niemand einsteigen. Hier bringt die Lüftung Vorteile. Jetzt zu Ihrer Frage: In der Regel haben wir im Sommer draussen die höheren Temperaturen als drinnen. Das heisst, es geht nicht darum, möglichst die Fenster zu öffnen. Denn dann kommt ja die ganze Hitze rein. Sondern wir versuchen eigentlich, den Tag über die angenehmen Temperaturen im Gebäude zu bewahren. Und in der Nacht, wenn die Temperatur draussen
absinkt, möchten wir die tagsüber ins Gebäude eingedrungene Wärme wieder abführen. Von dem her ist eine dichte Gebäudehülle kein Nachteil in heisser werdenden Sommern. Wenn man die über die Lüftung zugeführte heisse Luft mit dem Wärmetauscher zusätzlich abkühlt, hat man gute Luft ohne Hitze. Wir müssen uns aber Gedanken machen, was wir tun, wenn es vom Mikroklima her gesehen mit der Nachtauskühlung nicht mehr reicht. Wenn wir mehrere Tropennächte am Stück haben, wie wir das so schön sagen, und die
Temperaturen nicht mehr nach unten kommen – wenn es auch am Morgen früh nicht
unter 20 Grad ist. Da wird wohl ohne Technik unser wohlstandsbedingter Anspruch
nicht erfüllbar sein.

Welche technischen Lösungen stehen im Vordergrund?
Wenn Sie die Möglichkeit haben, mit Erdsonden zu arbeiten, können Sie eine sanfte Kühlung des Innenraums vornehmen. In Kombination mit einer guten Nachtauskühlung
ist das sicher eine effiziente und ökologische Möglichkeit, gerade wenn der dafür notwendige Strom von der eigenen PV-Anlage stammt. Für mich ist es aber auch kein Tabu, dass man gewisse Räume aktiv kühlt. Und wieso soll man ein Bürogebäude, vielleicht sogar eine Schule, nicht kühlen? Unser Leistungsvermögen ist viel, viel höher, wenn wir in einer angenehmen Raumtemperatur arbeiten dürfen. Die inzwischen sehr billige Solarenergie hilft uns dabei. Wenn wir aber nur schon tagsüber den Sonnenschutz richtig bedienen würden, hätten wir schon viel gewonnen.

Ich habe noch ein konkretes Projekt, auf Ihrer Webseite entdeckt, das heisst
«Tacho für das Gebäude». Was verbirgt sich dahinter?
(Lacht). Ich muss hier eine Analogie nutzen: Von unserem Auto wissen wir viele Details.
Wir haben immer vor Augen, wie schnell sind wir unterwegs, wie viel Benzin haben wir noch und wie sieht es mit dem Ölstand und der Wasserkühlung aus. Von unserem Gebäude, das ein viel grösserer Energieverbraucher ist und worin wir uns eigentlich
viel öfter aufhalten als im Auto, wissen wir sehr viel weniger. Wissen Sie, wie stark Ihre
Luft zu Hause belastet ist? Wie hoch der Energieverbrauch ist? Sie nicken…

Ich habe seit Frühjahr letzten Jahres eine PV-Anlage auf meinem Dach. Da bekommt man tatsächlich ein anderes Bewusstsein für Energie. Ich weiss
beispielsweise, was mein Kaffeevollautomat, wenn er hochfährt, an Strom
bezieht. Über meine Luftqualität weiss ich aber wenig, das stimmt.
Das ist ein gutes Beispiel. Wenn wir selbst zum Energieproduzenten werden, werden
wir plötzlich sensibilisiert: Was ist Energie, wie viel brauche ich? Ich kenne viele Beispiele von Leuten, die sagen, ich versuche jetzt, weniger Energie zu brauchen, denn ich versuche, im Sommer mit dem durchzukommen, was ich selbst produziere. Das ist in die richtige Richtung gedacht. Aber wie sieht es beim Thema Luftfeuchtigkeit oder Luftqualität aus? Da stehen wir fast alle noch ziemlich blank da. Man müsste beispielsweise wissen, wie der CO2-Gehalt in der Luft ist – ist die Luft verbraucht, haben wir genug frische Luft? Ein Haus-Tacho beinhaltet die Möglichkeit, über unterschiedliche wichtige Parameter den Überblick
zu behalten. 

Dabei sollte es um einen realen Mehrwert gehen. Es darf nicht nur eine technische Spielerei sein? 
Richtig. Und darum komme ich auch auf die Komfortkriterien zu sprechen. Seien wir ehrlich: Mit den heutigen Energiepreisen ist es leider rein vom Portemonnaie aus betrachtet nicht so entscheidend, jederzeit den Energiebedarf zu kennen. Beim Komfort ist das anders: Niemand hat gerne zu heisse oder zu trockene oder schlechte Luft zu Hause. Das ist der Argumentationshebel für den Tacho. Dabei geht es nicht nur Technik, sondern auch um Behaglichkeitskomponenten. Dann denke ich, beginnt ein Umdenken.

Minergie ist ja klassischerweise auf das einzelne Haus, die Gebäudehülle ausgerichtet gewesen. Es braucht aber künftig auch Lösungen, die über die Gebäudehülle hinausgehen. Nehmen wir jetzt nur ein Beispiel: Wenn wir in die
Phase der Elektromobilität kommen wollen, dann habe ich da vor dem Haus ein E-Auto stehen, das teilweise mit meiner Solarenergie getankt werden soll. Da passieren viele Dinge ausserhalb meiner Gebäudehülle. Wie geht Minergie mit so einer Herausforderung um?
Minergie kannte schon immer Themen, die über das Haus hinausgingen. So hatten wir schon früh das Thema Fernwärme auf dem Schirm. Auch die aktuelle Vorgabe zur  Eigenstromproduktion ist nicht nur an das einzelne Haus gebunden. Es geht darum,
möglichst auch Strom für die Mobilität zur Verfügung zu stellen. Dies kann auch auf dem Nachbargebäude oder auf der Garage realisiert werden. Und man kann auch einen Energiespeicher schaffen, den das gesamte Quartier nutzt. Darauf sind wir eingestellt
und fördern es auch.

Sie müssen vielleicht ein bisschen lauter und deutlicher reden, wenn es um
die Themen Raumplanung und Stadtentwicklung geht.
Wir haben nicht das Gefühl, dass Minergie mit einem Baustandard Raumplanung betreiben
soll. Ich denke, es gibt da viel bessere Instrumente und Akteure, um zu definieren, wo ein Gebäude erstellt werden darf mit welcher Nutzung, in welchem Volumen, mit welcher Anbindung an den öffentlichen Verkehr. Die Behörden in Kantonen und Gemeinden haben da einen weitaus besseren Überblick.

Aber man muss «andocken» können…
Wir hinterfragen immer wieder, ob unsere Standards kompatibel sind mit den  verschiedenen politischen Richtungen. Das betrifft Themen wie Verdichtung, die Anbindung
an den öffentlichen Nahverkehr, die Elektromobilität oder das kommende CO2-Gesetz. Zudem sensibilisieren wir Bauherren zu den angesprochenen Punkten. Wer heute ein Haus baut oder saniert, muss die neuen Technologien nutzen, sonst verliert das Haus an Wert. Dazu bieten wir einen Rahmen. Die Herausforderungen des Klimaschutzes müssen wir sowohl global lösen als auch national. Minergie bricht die Anforderungen dann auf die Gebäudeebene runter. Das bietet Orientierung. Der Bauherr will aber auch selbst etwas
haben von seinem Minergie-Haus, nicht nur das Klima schützen. Dabei sind Komfort
und Werterhalt immer noch die schlagenden Argumente.

www.minergie.ch

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