Raumplanung und Stadtentwicklung sind heute nicht mehr nur Themen für Experten, sondern oft politisch aufgeladen, da es viele unterschiedliche Interessen gibt. Stichworte wie Verdichtung können zu Reizworten mutieren. Wie entwickelt man vor solch einem Rahmen tragfähige Konzepte?
Heute leben 8.5 Millionen Menschen in der Schweiz. Die Bevölkerungsprognosen bis ins Jahr 2045 gehen von einem Anstieg der Wohnbevölkerung auf ungefähr zehn Millionen Menschen aus. Frau Wirz, was bedeutet das für Sie als Raumplanerin?
Grundsätzlich heisst das, dass mehr Raum für die Wohnbevölkerung und für die Wirtschaft geschaffen werden muss. Seit der Revision des Raumplanungsgesetzes im Jahr 2013 darf aber nicht mehr auf der grünen Wiese gebaut werden, um die Zersiedlung zu stoppen. Das heisst, der Druck auf Verdichtung und Innentwicklung steigt.
Um was geht es konkret bei diesen Schlagworten Verdichtung und Innenentwicklung?
Es geht um im urbanen Raum zentral gelegene Areale, deren Potenzial bislang zu wenig genutzt wurde. Die hochwertige Siedlungsentwicklung nach innen soll attraktive Dichte und Nähe mit einer hohen Siedlungsqualität schaffen. Das ist das Ziel. Verdichtung heisst aber auch konkret, dass höher, dichter und näher gebaut werden darf.
Mehr Menschen auf weniger Raum – das kann Ängste und Widerstand wecken. Wie gehen Sie in der Raumplanung an diese Aufgaben heran?
Unsere Aufgabe ist es, zukunftsweisende Konzepte zu entwickeln, die lebenswerte Räume für künftige Generationen sind. Wir verstehen dies als interdisziplinäre Aufgabe, in der die Qualität des Aussenraums und der Bebauung ganz oben auf der Agenda steht. Wir wollen ja, was die Zukunft betrifft, die richtigen Zeichen setzen. Wir sehen das als Chance, hochwertige Entwicklungen in diese Richtung zu unterstützen.
Lassen Sie uns nochmals das Stichwort Verdichtung vertiefen. Geht es hier in erster Linie um eine Platzfrage? Man könnte ja auch einwenden, dass durch die zu erwartende Verkleinerung der Verkaufsflächen und den Strukturwandel in der Industrie wieder Areale für eine neue Nutzung zur Verfügung stehen?
Verdichtung ist nicht überall gleichermassen möglich. Aus diesem Grund sind allgemeine Aussagen dazu schwierig. Die Potenziale hängen massgeblich mit dem Standort und den unterschiedlichen Interessen zusammen. Zunehmend im Fokus sind aber zentral gelegene Areale für Verdichtungen.
Da bietet sich ein Beispiel zur Verdeutlichung an. Können Sie uns Beispiele verraten, an denen Ihr Haus beteiligt ist?
Nehmen wir das Beispiel Arth-Goldau. Arth-Goldau wird mit der NEAT-Volleröffnung Ende 2020 auch zu einem wichtigen ÖV-Knotenpunkt in der Innerschweiz. Die Gemeinde hat deshalb einen breit abgestützten Prozess durchgeführt, um das Bahnhofsgebiet für die Zukunft fit zu machen. Arth-Goldau ist für den Kanton und die Region verkehrstechnisch wie wirtschaftlich von grosser Bedeutung. Schauen wir auf Birsfelden. Das ist eine Agglomerationsgemeinde von Basel. Dort wurde im Zentrum bislang noch wenig nachverdichtet. Bis anhin war die Nachfrage nach Wohnungen auch noch nicht sehr hoch. Der Standort bietet jedoch hervorragende Rahmenbedingungen, was neuen Wohnraum an zentraler Lage mit Detailhandel und guter Erschliessung anbelangt. Dort macht eine Verdichtung absolut Sinn.
Welche Vorteile gibt es dabei?
Wir leben und arbeiten dann in einer Stadt der kurzen Wege. Einkaufen, Wohnen und Arbeiten an einem Ort gewinnen zunehmend an Attraktivität.
Um welche Themenfelder geht es nebst städtebaulichen Themen? Welche Themenfelder haben Sie noch zu beachten?
Wir arbeiten im Gegensatz zu früher nicht mehr an den Rändern, sondern in bereits bebauten Gebieten. Dabei ist die Weiterentwicklung der Siedlungsqualität ein wichtiger Punkt. Es gilt aber auch, passende Lösungen für die Mobilität mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln zu suchen. Die Ansprüche an die Aussenräume, auch ökologische Aspekte, dürfen heute nicht mehr unterschätzt werden. Auch die Frage des Umgangs mit den Ressourcen ist zentral geworden. Das sind Aspekte, die unter der Überschrift nachhaltige Siedlungspolitik laufen. Wir versuchen, diese Aufgaben interdisziplinär zu lösen.
Das ist ein komplexer Prozess. Es gibt aber noch weitere Herausforderungen: nämlich ganz unterschiedliche Interessen. Der Gewerbeverband will Parkplätze und freien Zugang. Eine jüngere Generation fährt Sharing-Autos und kommt mit dem Velo zu ihrem Arbeitsplatz – einem Co-Working-Center. Wie kommen solche unterschiedliche Interessen zusammen?
Es gibt ohne Frage unterschiedliche Interessengruppen, deren Konflikte bereinigt werden müssen. Da diese Konflikte noch zugenommen haben, gibt es einen Paradigmenwechsel bei der Raumplanung. Meine Rolle als Raumplanerin besteht dann auch darin, diese Konflikte zu moderieren und dann eine Interessenabwägung vorzuschlagen. Dabei suchen wir optimale Lösungen, die auf diese Bedürfnisse eingehen. Das gemeinsame Interesse besteht ja darin, dass es um eine hochwertige Entwicklung unserer Lebensräume geht.
Auf diesen gemeinsamen Nenner bringen Sie die Konfliktparteien immer wieder zurück. Es geht um mehr Lebensqualität?
Ja, aber diese Entwicklungen, Konfliktlösungen und Prozesse brauchen Zeit.
Wie gehen Sie an diese widersprüchlichen Aufgaben heran?
Es kann auf sehr unterschiedlichen Ebenen Widerspruch geben. Wichtig ist, dass die Interessengruppen und die betroffene Bevölkerung an den sprichwörtlich runden Tisch gebracht werden. Nur so ist ein transparenter Prozess, der nachhaltig in die Zukunft weist, möglich. Als Raumplanerin muss ich diese Prozesse so mitgestalten, dass Lösungen für neue Konzepte entstehen können.
Lassen Sie uns nochmals auf drei Beispiele, an denen Ihr Büro raumplan wirz beteiligt ist, zurückkommen. Arth-Goldau steht im Zusammenhang mit der Neat auf einem neuen Niveau. Es gibt sehr umfangreiche urbane Entwicklung im Bahnhofsgebiet mit 120’000 Quadratmeter Geschossfläche auf circa 50 Hektar, mit neuem Rigiplatz und zwei Hochhaus-Akzenten, je 55 Meter hoch. Um was geht es bei dieser Entwicklung?
Die Gemeinde steuert massgeblich diese räumliche Entwicklung mit Einbezug der Stakeholder. Es ist ein positives Beispiel, wie Grundeigentümer, die betroffene Bevölkerung und Interessengruppen in verschiedenen Workshops auf die Bahnhofgebiets-Entwicklung Einfluss nehmen konnten. raumplan wirz hat diesen Prozess unterstützt, indem wir verschiedene Lösungsmöglichkeiten für ein Zukunftsbild aufgezeigt haben, von denen letztlich von uns der favorisierte Vorschlag zu einem Masterplan mit städtebaulichem Richtkonzept ausgearbeitet werden konnte. Das war auch für uns eine neue spannende und herausfordernde Herangehensweise. Hier ist ein wirklich vorbildlicher Prozess gelungen.
Um was geht es bei der Zentrumsplanung in Birsfelden?
Es soll eine neue Identität im Ortszentrum geschaffen werden. raumplan wirz hat dafür einen Studienauftrag durchgeführt. Ein Begleitgremium hat aus den verschiedenen Vorschlägen der Planungsteams ein Siegerprojekt ausgewählt. Es geht darum, die Identität der Agglomerationsgemeinde zu stärken und attraktiven Wohnraum an einer äusserst attraktiven Lage zur Verfügung zu stellen. Letztlich gehen alle Bestrebung dazu, eine möglichst hohe Siedlungsqualität zu erreichen.
Was steht im Zentrum von Oberwil im Vordergrund?
Auch hier handelt es sich um eine Zentrumsplanung. Die Funktion dieses Areals ist durch die öffentliche Nutzung vorbestimmt. Das Areal wird künftig aufgewertet mit einem zentralen Verwaltungsneubau, Schulbauten und einem höchst attraktiven Aussenraum. Auch hier geht es, nebst der Adressbildung, um eine Steigerung der Siedlungsqualität. Um eine städtebaulich gute Lösung zu finden, haben wir mit zahlreichen Architekturteams einen Projektwettbewerb durchgeführt.