Frauen haben entscheidende Beiträge zur Entwicklung des modernen Designs geleistet. In den Geschichtsbüchern kommen sie jedoch viel seltener vor als Männer. Mit der Ausstellung «Here We Are! Frauen im Design 1900 – heute» trägt das Vitra Design Museum dazu bei, dies zu ändern. Mit spiessigen Rollenbildern aufzuräumen ist zu begrüssen, nur Heldinnen zu verehren, führt manchmal aber auch zu schiefen Bildern.
Der Song It’s a Man’s Man’s Man’s World von James Brown und Betty Jean Newsome bringt es auf den Punkt: Männer agieren vorne auf der Bühne und Frauen werkeln im Hintergrund auf den zugewiesenen Plätzen. So war das auch in den Designwelten des zwanzigsten Jahrhunderts. Vor diesen Rollenklischees schützen auch nicht berühmte Namen. Die Gestalterin Florence Knoll hatte bei Ludwig Mies van der Rohe studiert und war eine erfolgreiche Unternehmerin für Möbeldesign. Bei der Erbauung des CIA-Hauptgebäudes, dessen Eingangshalle wir alle aus vielen Filmen kennen, durfte sie aber nur einige Innenaufgaben übernehmen. Aussenarchitektur war Männerwelt. So war es auch am Bauhaus in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts. Es gab eine Aufbruchstimmung, von der auch Frauen profitierten, was sie am Bauhaus auch beweisen konnten. Aber auch dort landeten sie fast immer in der Frauennische – zum Beispiel in der Weberei.
Eine Standortbestimmung
Heute ist rund die Hälfte der Designstudierenden weiblich, und Frauen sind in vielen zukunftsweisenden Designbereichen federführend. Anhand einer Vielzahl hochkarätiger Exponate verfolgt die Ausstellung «Here We Are! Frauen im Design 1900 – heute» das kreative Schaffen und die Arbeitsbedingungen von Frauen im Design von der frühen Moderne bis in die Gegenwart – von den ikonischen Objekten einer Eileen Gray über bislang kaum bekannte Neuentdeckungen bis hin zu heutigen Aktivismus- Netzwerken und feministischer Designforschung. So entsteht eine Standortbestimmung zu einem gesellschaftlich hochaktuellen Thema, die das moderne Design in einem neuen Licht erscheinen lässt.
Die Ausstellung gliedert sich in vier Bereiche, die die Museumsgäste auf eine Reise durch die letzten 120 Jahre Designgeschichte mitnehmen. Im ersten Bereich liegt der Schwerpunkt auf der Entwicklung des Designs in Europa und den USA, wo um 1900 das Berufsbild des modernen Designs entstand – zur gleichen Zeit, als Frauen öffentlich für mehr politische Mitbestimmung kämpften.
Diese Emanzipationsbestrebungen spiegelten sich auch im Design wider, etwa in den Arbeiten der Sozialreformerinnen Jane Addams und Louise Brigham, die heute unter den Begriff «Social Design» fielen. Unterdessen prägte die New Yorkerin Elsie de Wolfe das damals neue Berufsfeld der Innenarchitektur.
Nicht nur Heldinnen
Am Bauhaus studierten Frauen und Männer gemeinsam, wobei man Frauen wie schon erwähnt meist noch bestimmten Disziplinen wie textiles oder keramisches Gestalten zuordnete. Hier wird deutlich, dass sich Frauen in den Gestaltungsberufen aufgrund besserer Ausbildungsbedingungen zwar zunehmend professionalisierten, andererseits aber weiterhin oft in traditionelle Rollenbilder gedrängt wurden.
Am Beispiel von Lilly Reich kann aber verdeutlicht werden, dass die Designerinnen nicht nur verkannte Vorbilder waren. Lilly Reich spielte eine zentrale Rolle am Bauhaus und entwarf herausragende Inneneinrichtungen der Moderne. Der Deutsche Werkbund nahm Reich als erste Frau in seinen Vorstand auf. Ab Mitte der Dreissigerjahre sympathisierte sie mit der Idee, das Bauhaus unter NS-Vorzeichen neu aufleben zu lassen. Später stellte sich Reich in den Dienst der NS-Propaganda. Da ist der Punkt erreicht, an dem es nicht mehr um vergessene Heldinnen und Vorbilder geht. Leider befindet sich hier eine Leerstelle der Ausstellung.
Der zweite Ausstellungsbereich widmet sich den 1920er- bis 1950er-Jahren. In dieser Ära konnten Designerinnen wie Charlotte Perriand, Eileen Gray oder Clara Porset in der nach wie vor patriarchalischen Gesellschaft erste internationale Erfolge verbuchen. In der Pariser Luxusindustrie prägte Jeanne Toussaint als Creative Director jahrzehntelang die Kreationen des Schmuckhauses Cartier. Sie führte das sogenannte «Département S», dessen Produkte den Bedürfnissen der modernen Frauen der 1920er-Jahre entgegenkommen sollten, und stand für Schöpfungen, die ein fortschrittliches, selbstbewusstes Frauenbild repräsentierten. Da sieht man die Divas mit rotem Lippenstift, wie sie – sich eine Zigarette
anzündend – an einem vorbeiziehen.
Neben dem Partner
Einige der in der Ausstellung porträtierten Designerinnen arbeiteten eng mit ihrem Partner zusammen, etwa Ray Eames mit ihrem Mann Charles oder Aino Aalto mit Alvar Aalto. Oft standen die Frauen dabei im Schatten ihrer Partner, doch die Ausstellung zeigt, dass sie in vielen Fällen deutlich wichtigere Beiträge zu dem gemeinsamen Werk leisteten, als bislang bekannt war.
Bekanntestes Beispiel hierfür ist Charlotte Perriand, deren Bedeutung als unabhängige Designerin in den letzten Jahren weithin publiziert wurde, wobei auch ihr Anteil an den legendären Möbelentwürfen, die sie mit ihrem berühmten Kollegen Le Corbusier entwickelte, völlig neu bewertet wurde. Andere hier gezeigte Designerinnen arbeiteten zeitlebens unabhängig – so etwa die Keramikerin Eva Zeisel, die schon 1946 eine Einzelausstellung im New Yorker Museum of Modern Art hatte.
Rollenbilder aufbrechen
Der dritte Bereich thematisiert die Jahrzehnte von 1950 bis Ende der 1980er-Jahre, in denen insbesondere ab den 1960er-Jahren eine zweite Welle des Feminismus der konservativen Nachkriegsmentalität entgegentrat. Beispiele wie die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA) von 1958 zeigen, dass Frauen auch im Design häufig mit häuslichen Tätigkeiten assoziiert wurden, trotz solcher Einschränkungen aber oft ausserordentliche Werke produzierten. Die Rollenbilder und die Möglichkeiten von Frauen im Design veränderten sich stetig weiter: Die Ambivalenz und die Umbrüche dieser turbulenten Ära spiegeln sich in den poppigen Marimekko-Designs der 1970er-Jahre oder den postmodernen, teilweise spektakulären Objekten italienischer Designerinnen wie Nanda Vigo, Gae Aulenti oder Cini Boeri wider.
In diese Zeit fällt auch das Schaffen der Designerin Galina Balaschowa, die viele der futuristischen Interieurs der Raumkapseln für das russische Raumfahrtprogramm gestaltete. Ihr bisher fast unbekanntes Werk wird seit einigen Jahren entdeckt.
Mit dem vierten Bereich kommt die Ausstellung in der Gegenwart an. Werke international etablierter Designerinnen wie Matali Crasset, Patricia Urquiola, Inga Sempé, Ilse Crawford oder Hella Jongerius belegen, dass Frauen im Design heute ebenso selbstverständlich international erfolgreich sind wie Männer. Manche Designerinnen sprengen die etablierten Grenzen ihrer Disziplin und tragen massgeblich dazu bei, das Design neu zu definieren. Zu ihnen zählt Julia Lohmann, die Meeresalgen als neues, nachhaltiges Material erforscht, ebenso wie Christien Meindertsma, die Produktionsprozesse durchleuchtet. Zugleich präsentiert dieser Ausstellungsbereich eine Auswahl aktueller Initiativen, die veranschaulichen, wie der feministische Diskurs in Design und Architektur die Muster von Autorenschaft, Ausbildung und Anerkennung hinterfragt und mit Diversität und Intersektionalität in Zusammenhang stellt. So thematisiert das Kollektiv Matri-Archi(tecture) in der eigens für die Ausstellung geschaffenen Arbeit «Weaving Constellations of Identity» die persönlichen Erfahrungen afrikanischer und Schwarzer Designerinnen, während zahlreiche Netzwerken und Publikationen etablierte Narrative und Strukturen des Designs zur Diskussion stellen. Mit seinen Workshops und einer Community-Plattform liefert etwa das Netzwerk und Kollektiv Futuress einen Gegenentwurf zur Hochschulbildung mit ihren vielen Einschränkungen.
In der Zusammenschau all dieser Positionen ist die Ausstellung «Here We Are! Frauen im Design 1900 – heute» so vielfältig wie die Umbrüche und die Diskussionen zum Feminismus in unserer heutigen Gesellschaft. Sie bietet damit einen neuen, zeitgemässen Blick auf die Geschichte moderner Gestaltung und liefert Denkanstösse dahingehend, was Design im 21. Jahrhundert sein soll, wer es definiert und für wen es da ist.
Die Ausstellung
Here We Are! Frauen im Design 1900 – heute.
Vitra Design Museum, Weil am Rhein (D), bis 6. März 2022.