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Schweizer Energiewende auf dem Scheideweg – Wie steht es um die Zukunft der lokalen Elektrizitätsgemeinschaften

Nach rund zwei Jahren intensiver Beratung hat das Parlament im vergangenen September mit einer klaren Mehrheit dem «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien», kurz Stromversorgungsgesetz, zugestimmt.
Autorin: Tamara Kleedorfer

Dieser Schritt markiert einen bedeutenden Meilenstein in der Schweizer Energie- politik, legt den Grund- stein für einen schnellen und zielgerichteten Ausbau erneuerbarer Energien und schafft die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Erreichung der Klimaziele bis 2050. Dazu beitragen sollen unter anderem lokale Elektrizitätsgemeinschaften, kurz LEGs genannt. Diese Gemeinschaften zum nachbarschaftlichen Stromhandel wurden erstmals durch konkrete Bestimmungen im neuen Gesetz verankert. Trotz sorgfältiger Interessenabwägung und Einbeziehung zahlreicher Akteur*innen steht das zukunftsorientierte Gesetz nun vor einer entscheidenden Hürde. Gegner*innen der Windkraft und Naturschützer*innen haben das Referendum ergriffen. Zum finalen Showdown kommt es Anfang Juni bei der Volksabstimmung. Nur mit einem Ja an der Urne am 9.Juni wird in der Schweiz der Weg für den nachbarschaftlichen Stromhandel innerhalb lokaler Elektrizitätsgemeinschaften geebnet.

Alles auf Anfang: Was sind eigentlich lokale Elektrizitätsgemeinschaften? In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das europäische Energiesystem grundlegend verändert. Während die Stromversorgung früher überwiegend durch einige wenige zentrale fossile oder atomare Kraftwerke erfolgte, zeichnet sich in den letzten Jahren ein klarer Trend zu einem dezentralen Energiesystem ab. Das steigende Umweltbewusstsein der Bevölkerung, die Aussicht auf Kosteneinsparungen und der Wunsch nach Energieunabhängigkeit bewegen immer mehr Haushalte dazu, die grüne Energieversorgung selbst in die Hand zu nehmen. Durch private Investitionen in erneuerbare Energien werden sie von passiven Verbraucher*innen zu aktiven Prosument*innen, die nicht nur Energie konsumieren, sondern auch selbst erzeugen und somit zur Energiewende beitragen.

Diese Entwicklung prägt nicht nur massgeblich die Zusammensetzung der europäischen Energieversorgung, sondern führte ausserdem zum Aufkommen von Energiegemeinschaften. Als Zusammenschlüsse von Privatpersonen und lokalen Unternehmen ermöglichen es diese, gemeinsam erneuerbare Energie vor Ort zu produzieren, zu teilen und zu verbrauchen. Neben dem wachsenden Bedürfnis der Bevölkerung nach Energieunabhängigkeit und aktiver Beteiligung an der Energiewende spielt auch der zunehmend günstige rechtliche Rahmen eine entscheidende Rolle. Während die EU durch die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) seit 2018 einen rechtlichen Rahmen für Energiegemeinschaften vorgibt, sind diese in der Schweiz bisher noch nicht möglich.

Als Vorstufe der lokalen Elektrizitätsgemeinschaften, des Schweizer Äquivalents zu den Energiegemeinschaften, sind hierzulande bislang lediglich der Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV) und Eigenverbrauchsgemeinschaften (EVG) möglich. Diese Konstrukte erlauben die gemeinsame Nutzung von Energie auf vertikaler Ebene, also innerhalb eines einzelnen Gebäudes oder weniger Gebäude, die über ein privates Netz verbunden sind. Das neue Stromversorgungsgesetz sieht erstmals die Nutzung des öffentlichen Stromnetzes vor und schafft die rechtliche Grundlage für den nachbarschaftlichen Stromhandel über Grundstücksgrenzen oder gar ganze Nachbarschaften hinweg.

VORTEILE FÜR ALLE BETEILIGTEN

LEGs bieten eine Vielzahl an Vorteilen, sowohl für ihre Mitglieder als auch für die Energiewirtschaft und die heimische Energiewende im Allgemeinen.

Finanzielle Anreize sind für Mitglieder definitiv ein schlagendes Argument. Selbst jene Personen, die keine eigene Erzeugungsanlage installieren können (zum Beispiel Mieter*innen), können von kostengünstigem, sauberem Strom profitieren, der von der Gemeinschaft bereitgestellt wird, und dadurch ihre Stromkosten senken. Diejenigen, die selbst eine Anlage besitzen und Strom erzeugen, haben gleichzeitig die Möglichkeit, durch den Verkauf ihres Überschusses zusätzliche Einnahmen zu generieren.

Die Vorteile erstrecken sich jedoch weit über das Finanzielle hinaus. So ermöglichen Elektrizitätsgemeinschaften ihren Mitgliedern beispielsweise Energieunabhängigkeit, da sie durch die lokale Erzeugung erneuerbarer Energien weniger abhängig von konventionellen Energieversorgern sind. Ausserdem fördern LEGs demokratische Entscheidungsprozesse und sorgen für Transparenz in komplexen Marktprozessen. Sie ermöglichen es den Mitgliedern, aktiv an Entscheidungen über die Energieproduktion und Verwendung teilzunehmen. Die lokale Produktion verbessert ausserdem die CO2-Bilanz und damit den ökologischen Fussabdruck der Gemeinde, während gleichzeitig der Zusammenhalt und die Gemeinschaftsbildung gefördert werden.

Auch die lokale Wirtschaft profitiert davon. Einerseits werden Arbeitsplätze geschaffen und die wirtschaftliche Entwicklung der Region wird gestärkt. Andererseits unterstützen sie die lokale Energieproduktion und Nutzung und schaffen Anreize, den Strom dann zu verbrauchen, wenn er in der Nachbarschaft erzeugt wird.

Abschliessend tragen Elektrizitätsgemeinschaften massgeblich zur Verbesserung der heimischen Stromversorgung bei, indem sie lokale Erzeugung und Verbrauch effizienter miteinander verknüpfen. Durch die gemeinsame Nutzung erneuerbarer Energiequellen wie Solar- oder Windkraft können sie die Abhängigkeit von zentralen Kraftwerken verringern und die Versorgungssicherheit erhöhen. Zudem ermöglichen sie eine dezentrale Energieerzeugung und Speicherung auf lokaler Ebene, was die Resilienz gegenüber Störungen oder Ausfällen im übergeordneten Netz verbessert.

NACHBARLAND ÖSTERREICH
ALS PARADEBEISPIEL

Im Nachbarland Österreich sprechen die Zahlen für sich: Seit Inkrafttreten des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes im Juli 2021 wurden bereits über 1000 Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften ins Leben gerufen. Dadurch hat sich die Alpenrepublik im europäischen Vergleich als führend in der Konzeption und Umsetzung von Energiegemeinschaften etabliert und dient anderen Ländern als vorbildliches Beispiel. Doch warum sind Energiegemeinschaften in Österreich solch ein Erfolg?

Zurückzuführen ist das auf drei wesentliche Aspekte: Die österreichische Regierung hat einerseits eine bemerkenswerte Geschwindigkeit bei der Umsetzung zielgerichteter Gesetze gezeigt, was einen effizienten Rechtsrahmen für den Ausbau erneuerbarer Energien und die Förderung von Energiegemeinschaften geschaffen hat. Andererseits verfügt das Nachbarland über effiziente Energiedatenquellen. So sind intelligente Messsysteme, bekannt als Smart Meter, weit verbreitet. Diese bilden die Grundvoraussetzung für die Erfassung von Energieverbrauchs- und Produktionsdaten, die dann über die nationale Plattform für den energiewirtschaftlichen Datenaustausch (EDA) an Community-Manager übermittelt werden, um eine effiziente Verwaltung und Abrechnung von Transaktionen innerhalb der Energiegemeinschaften zu ermöglichen.

Um den Ausbau noch stärker voranzutreiben, wurde die Österreichische Koordinationsstelle für Energiegemeinschaften geschaffen – eine staatliche Einrichtung, die bei der Gründung von Energiegemeinschaften unterstützt. Durch die Bereitstellung wertvoller Ressourcen, von Beratung und strategischer Unterstützung stellt diese Initiative sicher, dass Energiegemeinschaften in Österreich nicht nur eine Vision oder ein Pilotprojekt sind, sondern zu einer florierenden Wirklichkeit werden.

ETH-ZÜRICH-SPIN-OFF EXNATON MACHT ELEKTRIZITÄTSGEMEINSCHAFTEN AUCH IN DER SCHWEIZ MÖGLICH

«Energiegemeinschaften sind das perfekte Beispiel für die Kraft der Synergie und Zusammenarbeit. Durch kollektives Handeln und die gemeinsame Verantwortung können wir nicht nur die Umwelt schützen, sondern auch Energiekosten senken und lokale Gemeinschaften stärken», ist Dr. Liliane Ableitner, Mitgründerin und Geschäftsführerin des Softwareanbieters Exnaton überzeugt. Seinen Ursprung hatte das Unternehmen 2017 im Forschungsprojekt Quartierstrom der ETH Zürich gefunden. Gemeinsam mit ihren beiden Mitgründer*innen hat Ableitner in Zusammenarbeit mit dem lokalen Energieversorger, dem Wasser- und Elektrizitätswerk Walenstadt (WEW), und mit Unterstützung des Bundesamts für Energie die erste Elektrizitätsgemeinschaft der Schweiz ins Leben gerufen. In dieser haben sich etwa 40 Haushalte zusammengeschlossen, um gemeinsam erneuerbare Energie zu erzeugen und zu verbrauchen. Auch fünf Jahre nach ihrer Gründung besteht die Gemeinschaft noch immer erfolgreich fort.

Aus dem Erfolg von Quartierstrom entstand schliesslich das Climate-Tech-Unternehmen Exnaton, welches als Softwareanbieter auf die Abrechnung von Energiegemeinschaften spezialisiert ist. Im Bestreben, den Weg für ein erneuerbares und nachhaltiges Energiesystem zu ebnen, entwickelt das junge Unternehmen die innovative Abrechnungssoftware PowerQuartier, durch welche Verbrauchende ihren Strom direkt von ihren Nachbar*innen kaufen, Elektrofahrzeuge mit lokalem, kostengünstigem und erneuerbarem Strom aufladen oder Mikroinvestitionen in gemeinsame Energieanlagen in der Umgebung tätigen können. Heute setzt Exnaton in den Nachbarländern (Österreich, Deutschland und Luxemburg) bereits zahlreiche Projekte zum nachbarschaftlichen Stromhandel erfolgreich um.

«Der Beschluss des Stromversorgungsgesetzes markiert einen wichtigen Meilenstein in der Schweizer Energiepolitik. Wir konnten anhand zahlreicher Projekte das Potenzial von solchen Zusammenschlüssen hautnah miterleben, weshalb wir davon überzeugt sind, dass sie einen Wendepunkt in unserer Energiewende darstellen könnten. Wir hoffen, bald auch Energieversorgungsunternehmen in unserem Heimatland mit unserer Expertise und Erfahrung bei der Umsetzung von LEGs unterstützen zu dürfen», fügt Ableitner hinzu.

WIE GEHT ES NUN WEITER?

Expert*innen aus Wissenschaft, Energiewirtschaft, Naturschutz und Politik sind sich einig: Das vorgeschlagene Stromversorgungsgesetz fördert Innovation und schafft verlässliche Rahmenbedingungen für den schnellen Ausbau erneuerbarer Energien, wobei gleichzeitig der Naturschutz berücksichtigt wird. Es stellt die Weichen für die kommenden Jahrzehnte und wird unmittelbaren Einfluss auf die Sicherheit und Verfügbarkeit der Stromversorgung in der Schweiz haben.

Um das Vorhaben zu fördern, haben der Dachverband der Wirtschaft für erneuerbare Energien und Energieeffizienz aeesuisse, der Dachverband der Schweizer Wirtschafteconomiesuisse, der Branchendachverband der Schweizer Stromwirtschaft VSE und zahlreiche weitere Organisationen die «Allianz für eine sichere Stromversorgung» ins Leben gerufen. Ziel der Vereinigung ist es, ein Bewusstsein für die Debatte zu schaffen und Unterstützer*innen für das Gesetz zu finden.

Denn nun liegt es in den Händen der Stimmbevölkerung: Im Juni 2024 findet die finale Abstimmung über das Stromgesetz statt. Obwohl lokale Elektrizitätsgemeinschaften nur ein kleiner Bestandteil des umfangreichen Gesetzesvorschlags sind, wird damit auch über die Zukunft des nachbarschaftlichen Stromhandels entschieden. Nur bei einem positiven Beschluss kann dieser visionäre Ansatz endlich auch in der Schweiz Realität und das volle Potenzial der grünen Energiewende ausgeschöpft werden.


ÜBER EXNATON

Exnaton ist ein mehrfach ausgezeichnetes Spin­off­Unternehmen der
ETH Zürich, das von drei ehemaligen Doktorand*innen gegründet wurde. Im Bestreben, den Weg für ein erneuerbares und nachhaltiges Energiesystem
zu ebnen und neue digitale Geschäftsfelder für Energieversorgungsunternehmen zu erschliessen, entwickelten sie die innovative Abrechnungssoftware PowerQuartier. Die White­-Label­-SaaS­-Plattform ermöglicht die Administration
und Abrechnung von Erneuerbare-­Energie-­Gemeinschaften und gemeinschaftlichen Erzeugungsanlagen. Dank PowerQuartier können Verbrauchende nun direkt
von ihren Nachbar*innen Strom kaufen, Elektrofahrzeuge mit lokalem, kostengünstigem und erneuerbarem Strom aufladen oder Mikroinvestitionen
in gemeinsame Energieanlagen in der Umgebung tätigen. Möglich machen
dies moderne Informationstechnologie und künstliche Intelligenz.

www.exnaton.com

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