Das Schweizer ETH-Spin-off Synhelion setzt zum Klima-Höhenflug an
Alles begann mit einer verrückten Idee an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich: Wie wäre es, wenn sich die Verbrennung von Treibstoffen umkehren liesse? Die Idee funktionierte – zunächst auf dem Papier, dann im Labor und schliesslich unter Realbedingungen. Geboren war ein synthetischer Treibstoff, der sich prinzipiell an jedem sonnigen Plätzchen der Welt aus Wasser und Kohlendioxid herstellen lässt und jeden beliebigen Brennstoff von Rohöl über Benzin und Kerosin bis zu Methanol ersetzt. Mittlerweile zählt das ETH-Spin-off Synhelion zu den weltweit wichtigsten Klimarettern. Im November 2021 sicherte sich das Unternehmen in einer Finanzierungsrunde 16 Millionen Franken – mit dabei auch die AMAG. Demnächst geht die erste kommerzielle Anlage in Betrieb. Die ersten Lieferungen hat sich bereits die SWISS gesichert.
Treibstoff aus CO2 und Sonnenlicht? Klingt nach Science-Fiction, funktioniert aber. Ganz vorne mit dabei in der aktuellen Entwicklung sind die beiden Schweizer Technologie-Unternehmen Synhelion und Climeworks. Die beiden ETH-Spin-offs wenden Verfahren an, die es möglich machen, CO2 aus der Luft abzuspalten und dieses mit Sonnenlicht und Wasser in ein synthetisches Gas zu überführen. Das Gas lässt sich danach zu Treibstoff weiterverarbeiten, der in normalen Motoren verbrannt werden kann.
CO2-neutraler Treibstoff aus Luft und Sonnenlicht
Synhelion sorgte erstmals für weltweite Aufmerksamkeit, als die Gründer Gianluca Ambrosetti und Philipp Furler zusammen mit dem ETH-Professor Aldo Steinfeld auf dem Dach der ETH in Zürich mithilfe einer Mini-Raffinerie den Beweis erbrachten, dass die Produktionskette von solaren Treibstoffen funktionierte. Die Prozesskette der Pilotanlage integriert drei thermochemische Umwandlungsprozesse: erstens die Abscheidung von CO2 und Wasser aus der Luft, zweitens die solar-thermochemische Spaltung von CO2 und Wasser und drittens die anschliessende Verflüssigung in Kohlenwasserstoffe. Durch einen Adsorption-Desorption-Prozess werden CO2 und Wasser direkt aus der Umgebungsluft entnommen. Beides wird dem Solarreaktor im Fokus eines Parabolspiegels zugeführt. Die Solarstrahlung wird durch den Parabolspiegel 3000-mal konzentriert, im Innern des Reaktors eingefangen und in Prozesswärme mit einer Temperatur von 1500 Grad Celsius umgewandelt. Im Herzen des Reaktors befindet sich eine spezielle keramische Struktur aus Ceriumoxid. Dort werden in einer zweistufigen Reaktion – dem sogenannten Redox-Zyklus –Wasser und CO2 gespalten und Syngas hergestellt. Die Mischung aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid kann mittels konventioneller Methanol- oder Fischer-Tropsch-Synthese in flüssige Treibstoffe weiterverarbeitet werden. Einfacher gesagt: Luft und Sonnenlicht kommen vorne rein und hinten kommt CO2-neutraler Treibstoff wieder raus.
Ab 2023 bis zu 10’000 Liter Solartreibstoff
Mit dem revolutionären Beweis zur Herstellung von Solartreibstoffen in der Mini-Raffinerie über den Dächern von Zürich folgte schnell der Ruf nach grösseren Anlagen. Dank der 16 Milliarden Franken Fördergelder, welche sich Synhelion in einer Finanzierungsrunde im November 2021 sicherte, steht die weltweit erste industrielle Anlage zu Herstellung von Solartreibstoffen im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Jülich kurz davor, ihren kommerziellen Betrieb aufzunehmen. Das Zentrum bietet dem Schweizer ETH-Spin-off eine umfangreiche Infrastruktur. Synhelion wird auch vom deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) finanziell unterstützt. Seit Anfang 2022 laufen die ersten Testphasen, ab 2023 sollen in der Jülicher Anlage 10’000 Liter Solartreibstoff pro Jahr produziert werden. Der nächste Schritt wird der Bau einer noch grösseren kommerziellen Anlage in Spanien sein. Denn im Gegensatz zu Deutschland gibt es auf der iberischen Halbinsel mehr Sonnentage, die eine intensivere Auslastung der Anlage sichern. Diese neue Anlage kann dadurch kontinuierlich betrieben werden, um grössere Mengen an Treibstoff herzustellen und die Produktionskosten zu senken. Für 2030 sieht Synhelion bereits ein Produktionsziel von 875 Millionen Litern pro Jahr vor.
Die solaren Treibstoffe von Synhelion sollen in erster Linie im Langstreckentransport eingesetzt werden. In der Schiff- und Luftfahrt seien Energieträger mit einer sehr hohen Energiedichte nötig, die mit Batterietechnologie nicht erreicht werden könnten, erklärt das Unternehmen. Flüssige synthetische Treibstoffe könnten diese Anforderung hingegen erfüllen. Im März 2022 haben die SWISS und die Lufthansa Group mit Synhelion eine strategische Zusammenarbeit zur Markteinführung von solarem Treibstoff vereinbart. Damit wird SWISS die weltweit erste Fluggesellschaft, die sogenannten Sun-to-Liquid-Treibstoff nutzt. SWISS und Synhelion nehmen damit eine Vorreiterrolle bei der Produktion und Nutzung von nachhaltigen Treibstoffen ein.
Kreislauf für nachhaltige Treibstoffe schliessen
Mit dem Ersatz fossiler Treibstoffe durch kohlenstoffneutrale Solartreibstoffe will Synhelion langfristig zu einem emissionsfreien Verkehrssektor beitragen. Die AMAG Gruppe investierte im Jahr 2021 direkt in Synhelion. Zusammen mit dem Engagement bei Climeworks will die AMAG dadurch den Kreislauf für nachhaltige synthetische Treibstoffe vollständig schliessen: Das CO2 von Verbrennungsmotoren kann mit der Technologie von Climeworks aus der Luft gefiltert und mit der Technologie von Synhelion wieder zu nachhaltigen synthetischen Treibstoffen umgewandelt werden. Damit will die AMAG Besitzerinnen und Besitzern der rund 200’000 Classic Cars in Zukunft ermöglichen, ihren geliebten Young- oder Oldtimer nachhaltig und klimaneutral auszufahren.