Der Gebäudepark spielt bei der Reduktion der Treibhausgase eine wichtige Rolle. Diese Aufgabe bedingt aber die Betrachtung des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes oder einer Siedlung. Dazu ist eine vermehrte Koordination aller Fachbereiche dringend nötig. Deshalb suchen Berufsverbände der Baubranche eine engere Zusammenarbeit in der Berufsbildung.
Dieses Jahr hat das Coronavirus die Aufmerksamkeit auf ein akutes und vergleichsweise kurzfristig lösbares Problem gelenkt. Wobei es Überschneidungen gibt. So hat sich das Coronavirus wie ein Brennglas auf die Situation in der industrialisierten Landwirtschaft gelegt. Beim Sojaanbau in Brasilien und den unsäglichen Zuständen in gewissen Schachthöfen überschneiden sich Klima und Corona. Nun ist aber das mittel- und langfristig gravierendere Problem der Erderwärmung wieder ins Auge zu fassen und mit Massnahmen anzugehen. Das Parlament hat im Juni 2020 zwar mit der Annahme des CO2Gesetzes einen ersten Schritt getan. Dieser reicht aber bei Weitem nicht aus. Denn die Erderwärmung entwickelt sich langsam und hat langfristige Auswirkungen. Die wissenschaftlichen Fakten weisen zwar schon seit Jahrzehnten auf die schleichend herannahenden und irreversiblen Natur- und Gesellschaftsschäden hin1. Die Klimaveränderungen werden aber erst seit einigen Jahren spürbar. Der Handlungsbedarf besteht dringend, da die Erderwärmung wie ein riesiger Ozeandampfer nur langsam zu stoppen ist. Im Gegensatz zu diesem kann sie aber nicht umgekehrt werden. Deshalb sind die Ziele der Agenda 2030 und der Energiestrategie 2050 unbedingt umzusetzen. Denn «nichts zu machen, kostet mehr»2,3. Auch die Baubranche steht diesbezüglich vor grossen Herausforderungen. Sie kann einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der CO2-Reduktionsziele leisten, da sie 37.3 Millionen Tonnen Treibhausgase4 von den total ausgestossenen 120.3 Millionen Tonnen5 produziert (Betriebsenergie und Materialien). Der geplante Absenkpfad verlangt bis 2050 einen CO2-frei betriebenen Gebäudepark. Die CO2-Reduktionsziele sind aber nur durch den konsequenten Einsatz erneuerbarer Energien und entsprechender Wärme-Kälte-Systeme erreichbar. Zudem muss die graue Energie, die bei der Herstellung von Materialien benötigt wird, aus erneuerbaren Ressourcen stammen.
Der gesamte Lebenszyklus
Nicht nur das Thema Energie betrifft den Gebäudepark, auch der hohe Materialverbrauch ist zu reduzieren. Denn die Erde ist begrenzt und für die nächsten Generationen stehen nicht mehr ausreichend materielle Ressourcen zur Verfügung.6 Neben der Suffizienz ist die Nutzung von erneuerbaren, wenn möglich gar regional vorhandenen Baustoffen sinnvoll. Baumaterialien, die über den gesamten Stoffkreislauf mit relativ geringem Energieaufwand und CO2Emissionen gewonnen werden können, sind Naturstein, Stroh, Lehm oder Holz. So wachsen beispielsweise jedes Jahr zehn Millionen Kubikmeter Schweizer Holz nach. Davon könnten sieben bis acht Millionen geerntet werden.7 Holz hat viele Vorteile und wird immer beliebter, vor allem auch bei öffentlichen Bauherren. 2017 wurden 1.54 Millionen Kubikmeter im Bauwesen eingesetzt, und zwar vorwiegend in Mehrfamilienhäusern und Gewerbebauten. Die Nachhaltigkeitsziele erfordern nicht nur von öffentlichen Bauherren ein Überdenken ihrer Strategien, sondern auch von privaten Investoren. Mit dem steigenden Verantwortungsbewusstsein wächst das Interesse an nachhaltigen Anlagemöglichkeiten im Immobiliensektor. Gesundes und nachhaltiges Bauen leistet dazu einen zentralen Beitrag. Aber dies erfordert ein Umdenken und veränderte Werthaltungen.
Effizienz und Suffizienz
An dieser Stelle gilt es, eine Klarstellung vorzunehmen. Effizienz und Suffizienz werden oft gleichgesetzt. Dies stimmt aber nicht. Effizienz und Suffizienz müssen sich ergänzen. Bei Effizienz werden die bestehenden Lösungen und Materialien optimiert. Beispielsweise bringt eine neue Solarzelle einen höheren Wirkungsgrad und damit mehr Effizienz. Suffizienz bedeutet darüber hinaus keine Verschwendung von Material und Energie. Das heisst, Materialien so sparsam wie möglich am richtigen Ort einzusetzen und Abfälle zu vermeiden sowie energieeffiziente Geräte (zum Beispiel LED-Lampen) nicht länger zu nutzen, nur weil sie weniger Energie benötigen. Zudem ist bei Materialien darauf zu achten, dass deren Herstellung, der Gebrauch und die Entsorgung wenig Energie benötigen. Neue Materialien sollten somit nicht nur auf ihre Nützlichkeit hin geprüft werden, sondern über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg bis hin zum Recycling kritisch begutachtet werden. Die Frage der Regionalität spielt, wie oben erwähnt, ebenfalls eine zentrale Rolle. Denn regionale Baustoffe reduzieren auch die Transportwege.
Regionale Stoffkreisläufe
Bei diesem Thema muss die ganze Baubranche nachziehen. Es braucht dazu auch einen neuen gesetzlichen Rahmen. Zudem sind monetäre Anreize wichtig. Positiv zu vermerken ist, dass auch die grossen Berufsverbände nachhaltigen Strategien zugestimmt haben. Zentrale Hürden sind aber alte Wertsysteme, an denen wir uns orientieren. Ökologie wird leider oft immer noch mit Verzicht gleichgesetzt. Hier helfen Leuchtturmprojekte, um praktische Überzeugungsarbeit leisten zu können. Die Bauten von René Schmid Architekten sind ein Beispiel hierfür. Konkret geht es um ein Gesamtkonzept, das neben dem allgemeinen Ressourcenverbrauch sowohl die Energieproduktion als auch deren Speicherung und Nutzung durch die Bewohnerinnen und Bewohner beachtet und CO2-Neutralität erreicht. Zunehmend gewinnen Solarspeicher an Bedeutung, welche die Energiespitzen gut abfedern können. So wurde an der Hochschule Rapperswil das Power-to-GasKonzept entwickelt, mit dem überschüssige Energie gespeichert und später wieder bezogen werden kann. Und damit haben die René Schmid Architekten gemeinsam mit der Umwelt Arena Schweiz eine vernetzte, zukunftsweisende 2 000-WattSiedlung errichtet, die sich auch für Investoren rechnet.
Es besteht Handlungsbedarf
Inzwischen wird immer deutlicher, dass bei Neubauten bereits problemlos nachhaltig gebaut werden kann. Demgegenüber stecken wir bei der Renovierung aber im sprichwörtlichen Sanierungsstau. Auch aus diesem Grund muss das Thema erneuerbare Energien viel stärker vorangetrieben werden. Da gab es in der Politik in den letzten Jahren viel zu zaghafte Vorstösse. Nur die Gebäudehüllen zu dämmen, reicht nicht. Ein Gebäude oder noch besser Siedlungen und Quartiere sind umfassend zu betrachten, um zukunftsfähige, das heisst auch klimafreundliche und gesunde Lösungen zu erhalten. Dies betrifft auch die Mobilitätskonzepte. In den nächsten Jahren wird die E-Mobilität sowohl auf der Strasse als auch als lokale Speicherlösung an Bedeutung gewinnen. Eine frühzeitige Planung ist dazu unabdingbar. Es gilt, nicht linear, sondern vernetzt zu denken.
Koordination aller Fachbereiche
Nachhaltiges Bauen ist eine komplexe und interdisziplinäre Aufgabe, die nur in Kooperation mit allen Beteiligten der Baubranche umgesetzt werden kann. Da Bauen eine Vielzahl von Interessen in den unterschiedlichen Lebenszyklus-Phasen eines Bauwerks berücksichtigen muss, ist es wichtig, dass alle am Bau Beteiligten dasselbe unter nachhaltigem Bauen verstehen. Dieses Verständnis wird zwar durch verschiedene Labels und Standards für nachhaltiges Bauen und deren Teilbereiche unterstützt. Offensichtlich ist das umfangreiche Angebot an Qualitätssicherungs-Systemen aber für viele Bauherren und Planende ein Problem. Die Rolle von Standards wird zwar teilweise als Hilfestellung und Anleitung begrüsst. Die Notwendigkeit von gebührenpflichtigen Labels wird jedoch infrage gestellt, da die vielen Anbieter, die Kosten und die Komplexität abschrecken. Dies haben einige Schweizer Label-Organisationen auch erkannt und streben seit diesem Jahr eine intensivere Koordination und Zusammenarbeit an. Allerdings sollten nicht nur Planende, sondern auch Fachleute mit handwerklichem Hintergrund wissen, was nachhaltiges Bauen bedeutet. Deshalb müssen die Fachkräfte der gesamten Baubranche für die Nachhaltigkeitszeile sensibilisiert und geschult werden. Alle am Bau Beteiligten sollten die grossen Zusammenhänge des nachhaltigen Bauprozesses kennen und ihre fachspezifischen Umsetzungskompetenzen einordnen können. Zudem ist die Zusammenarbeit zwischen Planenden und Ausführenden zu optimieren. Wenn die Berufsleute frühzeitig in die Planung miteinbezogen werden, können Schnittstellendiskussionen im Baualltag vereinfacht werden. Dazu ist aber eine gute Abstimmung der Aus- und Weiterbildungen in allen Bauberufen nötig. Dies kann eine transdisziplinäre Weiterbildung leisten.
Kooperation in der Berufsbildung
Weiterbildungsmöglichkeiten gibt es für Planende zu diversen Themen des nachhaltigen Bauens. Für Fachkräfte mit handwerklichem Hintergrund existiert aber im Nachhaltigkeitsbereich kein ausreichendes Berufsbildungsangebot. Einzig das Bildungszentrum Baubiologie bietet eine interdisziplinäre Weiterbildung zum umfassenden, gesunden und nachhaltigen Bauen an, mit der eine eidgenössische Berufsprüfung abgeschlossen werden kann. Um diese Bildungsmöglichkeiten zu erweitern, wird nun die Gründung einer nationalen Trägerschaft für «Gesundes und Nachhaltiges Bauen» vorbereitet. Diese treibt die gemeinsame Entwicklung von interprofessionellen Bildungsangeboten voran. Durch fachübergreifende Aus- und Weiterbildungen entwickelt sich eine gemeinsame Sprache und wächst das Verständnis für die Schnittstellen zu anderen Berufsfeldern. Zentral ist das praxisorientierte Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten, die neben dem Material- und Energieeinsatz auch soziale, wirtschaftliche und ökologische Aspekte miteinbeziehen. Darüber hinaus werden Fragen des Wohlbefindens und der Werthaltungen beleuchtet. Die Bildungsangebote fördern das kooperative Planen und Ausführen von Bauten und lassen Netzwerke für eine nachhaltige (Bau-) Welt entstehen. So leisten Weiterbildungen einen wichtigen Beitrag zur Reduktion der Klimaerwärmung und zur Verbesserung der Lebensqualität.