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Zwischen innen und aussen

Steht der Bewohner beim Austritt auf die Terrasse unvermittelt unter freiem Himmel, ist er den Wetterkapriolen ausgeliefert. (© Stephan Lenzinger)

Innen- und Aussenräume sollten nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Das Verschmelzen der Innen- mit der Gartenarchitektur verspricht höhere Wohnqualität. Auf diese Weise entsteht ein «Dazwischen» mit emotionalem und ästhetischem Mehrwert.

Mit der langsamen Entdeckung des Aussenraumes als erweiterten Wohnraum scheint der Hausgarten seine neue Identität nachhaltig zu festigen. Nicht mehr die Bedeutung als Produktionsfaktor für eigene Lebensmittel wie vor zwei Generationen steht im Vordergrund, sondern der Garten als Quelle für zusätzliche Wohnqualität und stilvollen Genuss. Steigender Wohlstand in den Bevölkerungsschichten, veränderte Lebensgewohnheiten und eine fortschreitende Emanzipation der Bauherrschaft trugen mitunter zu diesem Wandel bei. Es ist anzunehmen, dass die veränderte Betrachtungsweise hin zur Wahrnehmung des Aussenraumes als Teil des Gebäudeinnern weiter voranschreitet. Die logische Konsequenz ist die Aufwertung der Garten- und Innenarchitektur. Der klassische Architekt könnte dabei an Einfluss verlieren. Denn mit steigenden Landpreisen, bei gleichzeitig enger werdenden Platzverhältnissen, schnelllebiger Arbeitswelt und klimatischen Veränderungen wird die Käuferschaft mehr wollen als bloss ein toller Bau auf der Sonnenseite des Grundstückes platziert. Durch eine lebendige Interaktion zwischen Innen und Aussen mit dem Bestreben, Wohnemotionen und Wohlbefinden zu schaffen und zu fördern, liesse sich deutlich mehr Wohnqualität aus seiner Investition schlagen.

Gedanken zu Ausnutzung
Natürlich ist es nachvollziehbar, dass bei stetig steigenden Bevölkerungszahlen und
teurem Bauland, das Verdichten boomt. Durch die maximale bauliche Ausnutzung der Grundstücke entstehen jedoch häufig geradezu armselige grüne «Restflächen», die kaum noch einen attraktiven Dialog des Aussen- mit dem Innenraum ermöglichen. Boomphasen, in denen nur noch das eine zählt und das andere ausgeblendet wird, sind aber meist schlechte Ratgeber. Zeiten ändern sich, mit ihnen die Menschen und ihre Einstellungen. Die als Jahrhundertprojekt breit angelegten Revitalisierungen der Fliessgewässer lösen die einst ebenfalls als Jahrhundertprojekt bezeichneten Kanalisierungen allmählich ab – um nur ein Beispiel zu nennen! Für Investoren könnte es sich deshalb lohnen, auf Kosten kurz- und mittelfristiger Renditen zugunsten langfristig nachgefragter Immobilien auf einen grösseren als gesetzlich vorgeschriebenen Aussenraum zu setzen, auch wenn diese Haltung heute (noch) nicht im Sinne vieler Meinungsführer liegt.

Ein Blick auf die Architektur
Eine durchdachte Architektur trägt viel zum guten Dialog von innen und aussen bei. Eine ungeschickte Positionierung und Ausgestaltung der Baukörper kann die Arbeit der Garten- und Innenarchitekten erheblich erschweren. Wie Andrea Grasser, Innenarchitektin FH und Dozentin an der Fachhochschule Biel, im Gespräch meint, geht bereits mit einer Anordnung der Bauvolumina in Reih und Glied einiges an Spannung verloren. Leider sei dieses Vorgehen bei heutigen Reihenhaussiedlungen zu oft anzutreffen. Eine Architektur jedoch, welche die gerade Linie durchbreche und Nischen ermögliche, fördere einen spielerischen Umgang zwischen innen und aussen.

Simple Formensprache
Leider kommt die Mehrheit der Architektur einfallslos daher. Die Gebäude erinnern
immer mehr an Container. Vordächer scheinen gar tabu zu sein. Dabei ist das Vordach eine schöne Art des «Dazwischens» und schafft sowohl eine emotionale wie auch visuelle Verbindung zwischen Innen und Aussen, wie die Innenarchitektin bemerkt. Was gibt es Schöneres am Wohnen, als an der Schnittstelle zwischen Wohnzimmer und Garten das Wetter in all seinen Schattierungen in sich aufzunehmen? Fehlt das «Halbdrinnnen» und «Halbdraussen» geht Wohnqualität verloren, denn gewisse Wohnerlebnisse sind nicht möglich. Strömender Regen, sengende Hitze, ein sich abkühlender Abend und vieles mehr sind Wetterphänomene, die in einem halb geschützten Vorraum abenteuerlicher wahrgenommen werden. Hautnah und doch geborgen ist eine Emotion, die der Bewohnerschaft durch architektonische Vorgaben nicht vorenthalten werden sollte. Eine Veranda, ein schlichtes Vordach oder ein zweiseitig mit Mauern überdachter Sitzplatz sind Elemente, die nicht nur das Zu-Hause-Sein zelebrieren, sondern auch das Nach-Hause-Kommen und Von-zuHause-Gehen inszenieren.

Verdrängte Bedürfnisse im Glaspalast
In Verkaufsdokumentationen werden lichtdurchflutete Wohnungen beworben. Die überschwängliche Vorliebe vieler Architekten für gläserne Räume lässt oft Gebäude mit riesigen Fensterfronten entstehen. Diese als zeitgenössische Neubauten gepriesenen Bauwerke widerspiegeln seltener die wahren Bedürfnisse der Bewohnerschaft – die übrigens auf Architekturfotos nie zu sehen sind –, denn die überhöhte Identifikation des Autors mit seinem Werk. Davon zeugen nicht nur verschlossene Rollläden, sondern auch Beratungsgespräche des Garten- und Innenarchitekten mit der Käuferschaft schon bald nach dem Einzug, mit der Bitte an ihre Adresse, gestalterische Korrekturen anzubringen. Denn die Wahrung der Intimsphäre, der Schutz vor Einsehbarkeit und Mithören und der Wunsch nach Geborgenheit sind Grundbedürfnisse, die erfüllt sein müssen, damit sich der Mensch in seinem Wohnraum wohlfühlt.

Glas bedeutet nicht nur Aus-, sondern auch Einblicke. Besonders nachts gewährt die Beleuchtung der Innenräume mit der fehlenden Reflexion des Tageslichtes – gewollt oder ungewollt – Einsichten in die Vertraulichkeit der Bewohner. «Gebäude mit riesigen Fensterfronten sind nicht in jeder Umgebung die richtige Antwort. Mit der Architektur des ‹gerichteten Blickes› lässt sich gezielter gestalten», zeigt sich Andrea Grasser überzeugt. Diese Bauweise lenke den Blick mit bewusst gesetzten grossdimensionierten Fenstern auf ausgewählte Elemente des Aussenraumes. Eine schöne Aussicht, ein malerischer Baum oder eine lebendige Strassenszene wird zum besonderen Wohnakzent oder eben zu einem «Dazwischen», welches noch ästhetischer wahrgenommen wird, wenn es auch umgekehrt funktioniert und der Blick vom Garten ins Wohnzimmer durch eine spannungsvolle Einrichtung gefangen bleibt. Einen Leinwand-Effekt stelle sich ein, falls das grosse Fenster mit Vorhängen bestückt werde. Zwar seien Gardinen nicht mehr en vogue, doch «ihre raumbildenden und raumverwandelnden Eigenschaften sind nicht zu unterschätzen», meint die Innenarchitektin. Schliesse man die Vorhänge, verändere sich das Wohngefühl. Je nach Sonnenstand zauberten die Gardinenmuster ein Schattenbild ins Wohnzimmer oder die Gartenpflanzen eines auf die Vorhänge – welch wunderbares Zeugnis einer Interaktion von innen und aussen!

Unvorbereitet in den Klimawandel
Nehmen wir an, der Klimawandel und die damit einhergehenden Wetterextreme werden in den nächsten Jahrzehnten zu einem den Menschen und seine Lebensgewohnheiten immer stärker beeinflussenden Faktor. Erhält dann die Kundschaft heute für dieses durchaus realistische Szenario von den Planenden die geeigneten Räume? Ein architektonischer Spaziergang durch Neubauquartiere würde interessante Antworten auf diese Frage ergeben. Wenn die Architektur innen und aussen nicht getrennt voneinander betrachtet, es aber als Einheit verschmelzen lässt, entsteht auch in Sachen Mikroklima ein angenehmes «Dazwischen». Steht der Bewohner beim Austritt vom Wohnzimmer in den Garten oder die Dachterrasse unvermittelt unter freiem Himmel, ist er den Wetterkapriolen ausgeliefert. Räumlich gestufte Übergänge zwischen innen und aussen bieten bedeutend mehr. Eine zwischengeschaltete Veranda beispielsweise kombiniert mit einem grosskronigen Baum hat einen ausgleichenden Effekt auf das Temperaturgefälle. Auf diese Art verbessert sich nicht nur das Mikroklima; dieses «Dazwischen» eröffnet auch breitere Nutzungsmöglichkeiten und eine wetterunabhängigere Nutzbarkeit.

Sind es nicht genau diese Aspekte des «Dazwischens», welche wir für unsere Zukunft fördern müssten, als hoch gezüchtete Applikationen für modernste Haustechnik? Warum? Weil sie dem Zuhause eine menschliche Dimension verleihen, die einfach guttut!

Der Artikel ist erstmals in dergartenbau, Ausgabe 5 / 2017, erschienen.

www.menarvis.ch
www.dergartenbau.ch

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