Der DAM Preis 2019 geht an gmp – Architekten von Gerkan, Marg und Partner für den Umbau und die Modernisierung des Kulturpalasts Dresden. Dieses Jahr kamen öffentliche Gebäude, deren Sanierung im Fokus stand, zum Zug.
Beispielhafte Wohnungsbauten finden sich in jedem Jahrgang des DAM Preis. Was dieses Mal allerdings besonders auffällt, ist, dass keines der privaten Wohnhäuser auf der Longlist die Jury zu begeistern vermochte. Alle Wohngebäude auf der diesmaligen Shortlist sind für mehrere Parteien ausgelegt, sie befinden sich ausnahmslos im urbanen Kontext. Das Sanieren, Restaurieren, Um- und Weiterbauen stand im Fokus einer ganzen Reihe von Bauten und Ensembles, darunter die Berliner Staatsoper Unter den Linden und die Jugendbildungsstätte des Erzbistums Köln in Odenthal. Aber es steht mit dem Futurium Berlin auch ein ganz der Zukunft zugewandter Neubau auf der Liste. Bildungsbauten sind durch Schulen in München und Offenbach und eine Universitätsbibliothek vertreten. Kultur und Natur gehen mit der Umwandlung eines Hofguts zum Seminargebäude der Stiftung Nantesbuch eine Symbiose ein, die Moderne Galerie des Saarlandmuseums verzahnt mit ihrem Ergänzungsbau und der Platzgestaltung ebenso eng Architektur und Kunst.
Über den nationalen Tellerrand
Nicht in der Auswahl für den DAM Preis, aber seit vielen Jahren ein fester Bestandteil dieser Übersicht zur deutschen Gegenwartsarchitektur, sind die Bauten von Architekturbüros aus Deutschland in anderen Ländern: Auer Weber realisierten in der Provence in Frankreich die Handballspielstätte Arena du Pays d’Aix. In Chicago in den USA entstanden ist die Trumpf Smart Factory von Barkow Leibinger. Das Gebäude ist das Vertriebszentrum mit Showroom für die Metallbearbeitungsmaschinen des Unternehmens; das elaborierte Tragwerk aus begehbaren Vierendeelträgern ist auch das grösste Exponat für die Möglichkeiten der Geräte. Und schliesslich wird ein hybrid genutztes, mit seinem begrünten Innenhof die typologischen Grenzen überschreitendes Hochhausgeviert von ingenhoven architects, das Marina One in Singapur, gezeigt.
Kulturpalast in Dresden
Dresden wurde am Ende des Zweiten Weltkriegs zerstört. Der Aufbau geschah zunächst im Zeichen des sozialistischen Realismus. Der Kulturpalast ist der wichtigste und umstrittenste Bau der Dresdner Nachkriegsmoderne. Er war sowohl Ort der Unterhaltung als auch der politischen Demonstration. Gebaut wurde er von 1967 bis 1969 von den Kollektiven um Leopold Weil und später Wolfgang Hänsch. Der von den Dresdnern liebevoll «Kulti» genannte Bau steht mit seinem Schicksal nach 1989 stellvertretend für die Bedrohung des architektonischen Erbes der DDR. Im Sinne der resoluten Entscheidung der an sich besonders rekonstruktionsfreudigen Dresdner Bürgerschaft für seine Rettung und Eintragung in die Denkmalschutzliste im Jahr 2008 lobte die Stadt Dresden 2008 einen Wettbewerb aus. Die Schwierigkeit bestand darin, anstatt der früheren multifunktionellen Kongresshalle in der Mitte des Hauses einen neu zu konzipierenden Konzertsaal für die Dresdner Philharmonie unterzubringen. Neben diesem «inneren Neubau», wie es die Wettbewerbsauslobung formulierte, galt es, die denkmalgeschützte Glashülle zu erhalten. Zudem sollten eine neue Zentralbibliothek und ein Theatersaal mit 250 Plätzen integriert werden.
Der Umgang mit verschiedenen Erschliessungen für widersprüchliche Nutzungen stellte sich als die wesentliche Schwierigkeit im Wettbewerb heraus. Von Gerkan, Marg und Partner schlugen daher vor, die Bibliothek im ersten und zweiten Geschoss ringförmig um den Konzertsaal zu legen: Die Erschliessungssysteme sollten verschmelzen und somit beträchtlich Platz und Geld sparen. Das Ergebnis funktioniert einwandfrei. Zu jeder Zeit ist das helle, modernistische Foyer mit seinen weiten Freitreppen über mehrere Ebenen, dem dunklen Tropenholz der Handläufe und Wandtäfelungen, dem neuen rot leuchtenden Teppichboden und dem fantastischen Ausblick auf den Neumarkt belebt mit Bürgern aller Schichten und jeden Alters.
Bei der denkmalschutzgerechten Sanierung der Fassaden und Details nahmen sich gmp gestalterisch sehr zurück, wie etwa bei der Gipsrasterdecke im Foyer, die zum Einbau der notwendigen neuen Technik abgerissen werden musste. Man fand tatsächlich die alten Matrizen wieder, um eine neue Decke mit der ursprünglichen kleinteiligen Kassettenstruktur giessen zu können. Das 45 Meter lange Wandfries «Unser sozialistisches Leben» im Foyer des ersten Stocks wurde beim Umbau ebenso denkmalpflegerisch erneuert wie das 315 Quadratmeter umfassende Mosaik «Der Weg der Roten Fahne» aussen an der Westfassade. Die nicht bauzeitlichen, kupferfarben getönten Glasscheiben jedoch haben die Architekten ausgetauscht; heute erfüllt auch klares Glas die Lichtschutzwerte und erlaubt zudem den Blick in das Gebäude.
Der neue Konzertsaal wurde von dem gmp-Partner Stephan Schütz verantwortet, der in China bereits die komplexen Grossprojekte Opernhaus Qingdao und das fast 200’000 Quadratmeter grosse chinesische Nationalmuseum in Peking gebaut hatte. In Dresden vertrauten die Architekten auf die Weinbergtypologie. Sie fügten in das Innere des Hauses einen mit hellem Holz gefertigten, optisch warmen Konzertsaal mit 1 750 Plätzen ein, dem man seine wahre Grösse nicht ansieht.
Intergratives Bauprojekt in Berlin
Das Projekt beruht auf einem Konzeptverfahren für das Gelände der ehemaligen Blumengrossmarkthalle in Berlin-Kreuzberg, die heute als Erweiterung des Jüdischen Museums an der Lindenstrasse dient. Das Programm für die gemischte Baugruppe besteht aus Ateliers und Wohnungen in Eigentum, genossenschaftlichen Wohn- und Atelierflächen, Wohnungen für einen sozialen Träger sowie Gewerbeflächen. Das Gebäude folgt der maximal möglichen Auslegung des Bebauungsplans. Die Architektur beruht auf drei horizontalen und über zwei Treppenhäuser verbundenen Erschliessungswegen sowie auf dem Verhältnis zwischen der Gebäudehülle und fünf innen liegenden Lichthöfen. Das Erdgeschoss wird über einen umfahrbaren Weg erschlossen, an den drei Hauseingänge sowie die Zugänge zu unterschiedlichen, teilweise mehrgeschossigen Ateliers, einem Garten, gemeinschaftlichen Hauswirtschaftsräumen und dem Keller angeschlossen sind.
Eine der drei Erschliessungsachsen befindet sich als Rue intérieure auf Ebene 1 und ist mit begrünten Lichthöfen verbunden. Hier liegen nach Süden kleine Studiowohnungen. Die Räume nach Norden mit den darüber liegenden Wohnungen, die über einläufige Treppen direkt erreicht werden, sind intern verbunden. Die obere Erschliessungsachse befindet sich im Aussenbereich auf Ebene 4. Auch hier werden, jedoch vertikal gespiegelt, zwei Ebenen gleichzeitig erschlossen. Hinzu kommen weitere Ateliers, ein Gemeinschaftsraum und der Dachgarten sowie Terrassenflächen auf dem darüberliegenden Deck.
Stadtbibliothek Rottenburg
An der Schnittstelle zwischen mittelalterlicher Altstadt und bischöflichem Palais sollte eine neue Stadtbibliothek entstehen, die darüber hinaus an prominenter Stelle als Treffpunkt für die Bürger dient. Auf stadträumlicher Ebene ist ein kommunizierender Baustein entstanden, bei dem Themen im Gefüge der Umgebung aufgenommen, interpretiert und neu wiedergegeben werden. So konnte etwas Neues entstehen, dessen Code aus der Umgebung gespeist wird. Der Baukörper für die Stadtbibliothek wurde in Anlehnung an die geknickte Bauform des Nachbargebäudes entwickelt. So entsteht ein räumlicher Dialog. Das Grundstück liegt an der Schnittstelle ganz unterschiedlicher Massstäbe. Die verschiedenen Traufhöhen des Neubaus – bedingt durch das gerade Satteldach auf der geknickten Gebäudeform – vermitteln zwischen dem imposanten bischöflichen Palais und den niedrigeren Gebäuden der Altstadt.
Ein Gebäuderücksprung weist auf den Eingang hin. Im Erdgeschoss gelangt man an einer grosszügigen Theke vorbei in das Lesecáfe, das im Sommer über Schiebetüren zu einem Strassencafé erweitert wird. Die Innenwände der Bibliothek sind weitgehend mit Regalen belegt, es entstehen Bücherräume. Unterbrochen werden diese durch grosse Fenster mit tiefen Laibungen, die zum Sitzen und Lesen geeignet sind. Die Leser werden von aussen sichtbar und transportieren so die Funktion des Hauses in den öffentlichen Raum. Von innen bietet jedes der Lesefenster einen eigenen, gerahmten Blick in die Stadt.
Ausbildungs- und Seminargebäude in Bonn
Der strukturalistische, clusterartige Entwurfsansatz drückt die Unruhe des Lernens aus – das ständige Suchen, Reflektieren, das Ausschweifen, das Neugierige, in alle Richtungen Schauende, dies trotz allem diszipliniert und mit systematischer Ordnung. Der pavillonartige Neubau schmiegt sich in den Landschaftsraum des angrenzenden Kottenforsts und fügt sich kleinteilig und massstäblich in den gebauten, heterogenen Kontext ein. Die vielgliedrig gestufte Fassade erlaubt Ausblicke in mehrere Richtungen, um das lernende Suchen zu ermöglichen. Die Lernorte sind in beiden Ebenen um Innenhöfe angeordnet, woraus sich klare, kurze und seitlich gut belichtete Rundwege ergeben.
Die netzartige Gebäudestruktur wird in ein Holzskelett mit klarem, durchgehendem Stützenraster und wirtschaftlichen Spannweiten übertragen und ermöglicht eine hohe Variabilität und Flexibilität. Es entsteht eine vielfach gegliederte, multimodale und kommunikationsorientierte Lernlandschaft, welche zum differenzierten und selbst organisierten Lernen und Arbeiten einlädt. Durch den auf nur zwei Rasterfeldgrössen basierenden Grundriss wird die Anzahl der Bauteilanschlüsse auf ein Minimum reduziert, sodass die Vorzüge der modularen Bauweise optimal ausgenutzt werden. Der kompakte Baukörper, bauliche passive Massnahmen und eine effiziente Anlagentechnik erreichen die gewünschte Energieeffizienz und bilden in Kombination mit ressourcenschonenden Materialien die Grundlage für den DGNB-Standard Gold (Zertifizierungssystem für nachhaltiges Bauen).