In der Schweiz gelangen Studierende mit einem berufsnahen Hintergrund an die Fachhochschulen. Dadurch sind diese noch immer näher an der Praxis als die vom Gymnasium kommenden Studierenden, welche an Hochschulen studieren, selbst wenn diese Grenzen immer fliessender werden. Der direkte Bezug zum Beruf ist eine echte Chance.
An der Hochschule für Wirtschaft und Technik HTW Chur wird in der Architektur- aber auch in der Bauingenieurausbildung stark Wert auf die Berufsbefähigung des Bachelor-Studiums gelegt. Die Studierenden sollen keine Angst vor der heutigen Komplexität des Bauprozesses haben und sich kompetent in den Bauprozess einbringen können.
Bereits 1930 ermahnte Otto Salvisberg, dass die akademische Architekturausbildung Studierende am damaligen Polytechnikum in Zürich «zu eigenem Schauen, eigenem Denken und Schaffen und zu eigener Leistung zu befähigen und ihn, mit sauberer Baugesinnung ausgestattet». Doch dies dient nur einem Ziel: Die Studierenden «für die praktische Arbeit vorzubereiten». Ein Praktikum in einem Architekturbüro ist noch immer die direkteste Möglichkeit sich mit dem Bauprozess und den Anforderungen im Architekturbüro vertraut zu machen. Doch leistet gerade der Unterricht viel für die Formierung des Denkens. Die Studierenden brauchen sowohl solides Fachwissen wie auch theoretisch fundierte Werkzeuge um später effektiv arbeiten zu können. An einigen Beispielen aus meinem eigenen Unterricht suche ich dies im Folgenden zu erläutern. Als ich 1999 an der HTW Chur als wissenschaftlicher Mitarbeiter angefangen habe, hat mir der damalige Studienleiter, der Bauingenieur Jürg Conzett, lapidar erklärt, dass man das lehren soll, was einen selber interessiert und wo man auch selber etwas lernen könne. Dann lernen beide: Die Studierenden aber auch die Dozierenden.
Entwerfen: Aus der Praxis für die Praxis
Die mit dem Entwerfen beschäftigten Fachbereiche, wie Entwurf, Konstruktion und Städtebau, sind dafür prädisteniert effektive Fragestellungen zu bearbeiten. Im Rahmen des Unterrichts im Fach Städtebau erarbeiteten die Studierenden 2010 und etwas detaillierter 2015 mögliche Entwicklungspotentiale für die Gemeinde Schwellbrunn im Kanton Appenzell Ausserrhoden. Ziel der Projekte war spezifische Konzepte für eine nachhaltige Entwicklung der Gemeinde zu erarbeiten. Wichtig war dabei sich nicht nur auf das Zentrum zu fokussieren, sondern auch mit den umliegenden Teilen der verzettelten Gemeinde auseinanderzusetzen und sich klar zu werden, was die starke Mobilisierung für die Entwicklung der Gemeinde bedeutet. Wenn die höheren Schulen und meisten Arbeitsstellen ausserhalb der Gemeinde liegen. Gemeinden funktionieren heute in ihrem alltäglichen Gebrauch so wie früher einzelne Quartiere. Sie sind Teil eines grösseren Systems. Diese mobile Lebensweise ist urban, obwohl sie im vermeintlich ruralen Raum stattfindet. Die Architektur muss immer spezifisch sein, damit der Ort besser wird.
Theorie: Rethink the Modular, Lehre als Forschung
Selbst theoretische Fächer wie Architekturtheorie oder Architekturgeschichte können den Studierenden wichtige Werkzeuge in die Hand geben, um ihre Entwürfe präziser zu fassen und zu entwickeln. Hierbei geht es nicht darum historische Konzepte zu wiederholen, sondern aus ihren räumlichen und konstruktiven Möglichkeiten zu lernen und diese für die Gegenwart fruchtbar zu machen. In Zusammenarbeit mit dem Schweizer Möbelhersteller USM analysierten die Studierenden im Frühlingssemester 2015 modulare Gebäude. Die Ergebnisse wurden später in einer Ausstellung präsentiert, wo sowohl die Lehre in Architekturgeschichte als auch -theorie vorgestellt wurde.
Wahlfach: Die moderne Stadt in den Alpen
Der Besuch gebauter Architektur zeigt direkt die Chancen aber auch Grenzen von spezifischen Konzepten. Für das Bauen in den Alpen entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich einmalige Siedlungen, die heute der jungen Generation nicht mehr bekannt sind, doch damals zentrale Marksteine im Architekturdiskurs waren. Durch ihre architektonische Stringenz und klaren Ausformulierung sind sie bis heute vorbildlich. Im Herbstsemester 2015 besuchten wir in den Französischen Savoyen neugegründete Städte in den Alpen wie Flaine (1961-76) des Bauhausschülers Marcel Breuer, Les Arcs (1967-2003) der ehemaligen Mitarbeiterin von Le Corbusier Charlotte Perriand und Avoriaz (1966-2003) des Atelier d’Architecture d’Avoriaz.
Architektur unterrichten, heisst sich in das aktuelle Geschehen involvieren und den Studierenden Werkzeuge in die Hand geben, damit sie sich aktiv in den Bauprozess einbringen können. Dabei spielen Konstruktion, Struktur, Raum aber auch der spezifische Ort eine entscheidende Rolle. Im alpinen Raum, wo sowohl die territorialen, kulturellen aber auch die klimatischen Anforderungen erhöht sind, ist dies besonders wichtig. Die HTW Chur versucht ihre Studierenden darauf gezielt vorzubereiten.
Weitere Informationen:
www.htwchur.ch