Nachhaltigkeit ist in den letzten Jahren ein schwammiger Begriff geworden. Im folgenden Interview mit Sternekoch Andy Zaugg und Ivo Bracher, dem Vorsitzenden der Geschäftsleitung und Präsidenten des Verwaltungsrats von bonainvest Holding, geht es darum, Nachhaltigkeit wieder eine schärfere Kontur zu geben. Es geht aber um noch viel mehr.
Wir befinden uns hier in einem Smart Living Loft. Das war ja noch vor wenigen Jahren eher was für Technik-Freaks oder Bill Gates, sprich, kompliziert und teuer. Was hat sich denn hier verändert, und ist Smart Living inzwischen in der Schweiz Mainstream?
Ivo Bracher: Wir bewegen uns in Richtung Mainstream. Vonseiten der Technik ist heute viel möglich, und auch die Markreife vieler Konzepte und Produkte überzeugt. Trotzdem stellt sich immer die Frage nach dem tatsächlichen Mehrwert. An unserem Konzept Smart Living Loft sind 19 namhafte Firmen beteiligt. Schon das ist ein erster Hinweis, dass wir uns nicht mehr in einem Nischensegment bewegen.
Welche Ziele definieren Sie über Smart Living?
Für mich ist Smart Living auch zunächst ganz klassisch definiert und hat nichts mit
technologischen Spielereien zu tun. Es geht beispielsweise ganz praktisch um Schwellen- und Barrierefreiheit, damit Besucher oder Bewohner mit dem Rollstuhl unterwegs sein können. Das Konzept wird durch Komfortelemente wie Licht- oder Storensteuerung unterstützt. Dazu kommen dann auch Lösungen im Sektor Alarm. Das ist ein integriertes System, welches sehr einfach zu bedienen ist. Jüngere Generation steuern hier über eine App, und ältere Generationen können über unterschiedlich farbige Tasten, die in der Höhe von klassischen Lichtschaltern angebracht sind, steuern. Man kann auch mit einem Knopf aus dem Bett die gesamte Wohnung in einen andern Status verwandeln.
Sie wollen im Rahmen der demografischen Entwicklung ein Leuchtturmprojekt mit Vorbildcharakter sein und keine Kathedrale in der Wüste, die keinen Bezug zu ihrer Umgebung hat?
Unser Leuchtturm steht hier in Oensingen im Kanton Solothurn und nicht an der Goldküste bei Zürich. Die Zukunft beginnt hier und nicht auf exklusivem und exorbitant teurem Boden. Es geht um vernetztes Wohnen mit einer nachhaltigen Architektur. Zudem geht es nicht nur um Technik, sondern auch um Kommunikation und Begegnung. Nicht ohne Grund sitzen wir hier in einem grossen Raum, der neben einer gut ausgestatteten Küche auch viel Platz, sprich, einen Launch-Bereich bietet.
Ein zweiter Punkt fällt hier sofort ins Auge. Er lautet «Wohnen mit Services». Was verstehen Sie darunter?
Das fängt auf einer sehr trivialen Ebene an. Wenn jemand eine Wohnung bezieht, erkundigen wir uns nach den Bedürfnissen der Bewohnerin oder des Bewohners und legen dementsprechend eine Datenbank an. Das hilft uns, dass sich die Menschen später besser vernetzen können. Im zweiten Bereich geht es um Dienstleistungsangebote, beispielsweise zum Thema Wäschereinigung. Früher gab es da Links zu externen Firmen, heute sind wir hier selbst tätig. Im Rahmen von Bonacasa gibt es nicht nur einen Wäscheservice, sondern auch Angebote zur Wohnungsreinigung, Feriendienstleitungen oder Notrufservice. Im Rahmen des dritten Bereichs geht es um die Kooperation mit externen Partnern.
Und hier kommt Sternekoch Andy Zaugg zum Zug?
Exakt. Er bietet zum Beispiel Kochkurse an. Zukünftig werden wir in den grösseren Projekten überall solche sozialen Funktionsräumlichkeiten realisieren. Das erhöht die Lebensqualität immens. Ein weiterer externer Dienstleister ist ein in der Nähe liegendes Pflegeheim. In Ergänzung zu den Spitex-Lösungen werden hier weitere Dienstleistungen angeboten. Wir vernetzen hier unsere Geschäftspartner und Menschen.
Von welchen Dimensionen sprechen wir und wie sieht der Altersdurchschnitt aus?
Wir haben inzwischen 23 Projekte mit über 1 000 Wohnungen, die wir mit dieser Konzeption betreiben. Der Altersdurchschnitt liegt bei 58 Jahren.
Das Konzept spricht nicht nur die Silver-Generation an?
Nein, wir bewerben das Konzept sehr deutlich als generationenübergreifende Lösung. Zudem hat Bonacasa über 7 000 Wohnungen von Drittinvestoren unter Vertrag, die vom Smart-Living-Angebot und den Dienstleistungen von bonacasa profitieren.
Ich bin beindruckt von der Vielfalt der Dienstleistungen. Dazu brauchen Sie aber Fachpersonal mit hohem Erfahrungs- und Ausbildungsniveau. Zudem müssen Sie auch die technologischen Entwicklungen im Blick haben.
Es reicht nicht, einen Blick auf die Technologien und ihre Lösungen zu werfen. Sie müssen in der Praxis testen, was hier Spielerei ist und was wirklichen Mehrwert bringt. Genau das machen wir in unseren Musterwohnungen. Wir entwickeln auch Technologien weiter. Beispielsweise haben wir die Smart-HomeLösung von ABB mit unserem 24/7-Notruf und den Schlüsseltresoren ergänzt oder geholfen, Fenster von 4B barrierefrei zu machen.
Wie sieht die finanzielle Seite aus?
Immobilien sind gerade heute ein wichtiges Anlageobjekt. So sind bei der bonainvest einige Pensionskassen an Bord. Die Pensionskassen von Migros und Coop sind die beiden grössten Aktionäre dabei. Die Verantwortlichen wollen dort nachhaltige Investitionen sehen. Das fängt bei der Gebäudehülle an, reicht über SmartHome-Komponenten bis hin zu Themen wie Wohnen im Alter. Dort geht es nicht um Eintagsfliegen. Wir haben beim Thema Wohnen ja immer Zeitfenster, die mindestens zehn Jahre halten müssen. Dabei gibt es immer neuere technologische Lösungen zu finden. An den Schnittstellen agieren aber Menschen. Aus diesem Grund gibt es die umfassenden Dienstleistungen von bonacasa.
Im Smart Living Loft kann man ja nicht nur Haustechnikstandards anschauen, sondern es ist auch ein Ort mit einer Küche für kleinere Gruppen, wo regelmässig Kochkurse durchgeführt werden. Sie haben sich für eine Zusammenarbeit mit
Andy Zaugg, dem Sternekoch, entschieden. Was gab den Ausschlag?
Andy Zaugg ist absolut unauffällig im Raum Solothurn unterwegs gewesen (Lachen, die Redaktion). Nein, im Ernst: Er kocht einfach spitze und kann das auch vermitteln. Daher ist er für das Smart Living Loft die richtige Person. Kochen ist ein Beispiel für die vielfältigen sozialen Aktivitäten, die hier möglich sind. Die digitale Vernetzung ist dabei nur ein technisches Hilfsmittel. Aber dies ist wichtig, da die Akteure, beispielsweise beim Thema Pflege, oftmals voneinander gar nichts wissen. Hier wollen wir Brücken bauen.
Kommen wir zu Andy Zaugg. Es gibt beim Thema Kochen wie beim Thema Wohnen sehr unterschiedliche Philosophien. Es gibt Köche, die arbeiten mit technologischen Finessen. Nehmen wir nur die Molekularküche als Beispiel. Oder die andere Seite, die das Einfache richtig gut machen will. Als Beispiel kann hier der Kollege aus Stuttgart, Vincent Klink, angeführt werden. Für ihn gehört in eine schwäbische Maultasche nicht unbedingt Lachs. Wie positionieren Sie sich zwischen diesen beiden Polen, Herr Zaugg?
Andy Zaugg: Als Koch probiere ich viele Philosophien aus. So ist es auch bei der Molekularküche. Ich habe da einen pragmatischen Ansatz. Da, wo es Sinn macht, setze ich Techniken auch ein. Wenn man sich hier in der Küche umsieht, fallen einige technische Gerätschaften, wie der Thermomix oder eine Berkel-Aufschnittmaschine auf. Damit arbeiten wir hier in jedem Kochkurs. Auch einen Dampfgarer will heute niemand mehr in einer guten Küche vermissen. Gleichzeitig gilt es, Speisen möglichst einfach und unter Hervorhebung des Eigengeschmacks des Gemüses, Fleischs, Fischs oder der Früchte zuzubereiten. Kochen darf nicht zu kompliziert werden.
Worin unterscheidet sich das Kochen hier von einem klassischen Restaurantbesuch? Hier muss man sich ja beim gemeinsamen Kochen einbringen. Viele stellen sich Fragen wie, macht dies Sinn? Ich kann doch nicht so schnell eine Zwiebel schneiden wie Andy Zaugg.
Wir lassen uns immer Zeit. Es ist wichtig, dass man die Entstehung des Gerichts transparent nachvollziehen kann. Wir machen den Ravioliteig und die Füllung zusammen. Gleichzeitig erkennen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, auf was es beim Kochen ankommt. Wo liegen die Stolpersteine und warum wird genau durch diese Zugabe und diesen Handgriff das Ergebnis noch besser? Und wann macht die Zugabe von Olivenöl Sinn?
Es geht wirklich darum, durch dieses gemeinsame Arbeiten auch ein besseres Gruppengefühl entstehen zu lassen?
Am Anfang habe ich es hier nur mit einzelnen Persönlichkeiten zu tun, die oft isoliert nur nebeneinander stehen und sitzen. Nach einem solchen Kochevent, wo wir gemeinsam etwas Schaffen, kann man von einer Gruppe sprechen, die etwas verbindet und stolz ist auf das gemeinsam Geschaffene.
Ist es nicht die zentrale Herausforderung, Lösungen zu finden, wie ich nachhaltig leben und trotzdem eine gute Lebensqualität realisieren kann. Ivo Bracher:
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir haben uns von Anfang an, sprich 2009, auf nachhaltige Aspekte, die trotzdem mehr Komfort und Wertsteigerung bedeuten, konzentriert. Das betrifft die grosse Fassade wie den kleinen Lichtschalter. Auch das Thema Heizen steht da auf dem Prüfstand. Bei uns findet man keine einzige Ölheizung, dafür Pelletsheizungen, Fernwärmelösungen und Erdwärmesonden. Gleichzeitig geht es aber nicht um nur wenige Luxussegmente, sondern um bezahlbare Lösungen, aber mit guten Materialien.
Andy Zaugg:
Und schon sind wir wieder beim Thema Essen. Nachhaltigkeit heisst für mich ganz konkret das Setzen auf interregionale Produkte.
Was heisst dies?
Beispielsweise gibt es inzwischen frische Shrimps aus der Schweiz. In Rheinfelden sitzt das betreffende Unternehmen. Die Verantwortlichen sind echte Pioniere. Ich durfte davon schon einige probieren und war im positiven Sinne überrascht. Die sehen hell aus und haben einen exzellenten Geschmack.
Das sind nicht die Nordseekrabben, die in Marokko verarbeitet werden und dann in einer minderen Qualität auf unserem Teller landen?
Richtig. Wir können inzwischen auch Lachs aus dem Bündnerland geniessen, der ohne den üblichen Antibiotika-Cocktail auskommt. Das macht uns als Gourmets sehr viel Freude.
Da kann ich nur guten Appetit wünschen.
www.bonainvest.ch
www.andyzaugg.ch