Das Schweizer Bauwerk hat eine Qualität, die ihresgleichen sucht. Es sind ingenieurtechnische Meisterleistungen wie die Salginatobelbrücke aus dem Jahr 1930 oder – in der neueren Geschichte – der Gotthard-Basistunnel, die international für Aufmerksamkeit und Anerkennung sorgen. Diese Beispiele zeigen, dass sich die Schweizer Baukultur vor Herausforderungen nicht scheut – und das ist wichtig! Schliesslich stellt uns der Klimawandel vor eine weitaus grössere Herausforderung als die Überbrückung einer Schlucht oder das Durchqueren eines Berges. Die Ziele des Bundesrats sind klar: Bis 2050 ist die Schweiz klimaneutral. Zur Erreichung dieses Ziels braucht es Pionier- und Innovationsgeist – nicht nur, aber auch im Bauwesen.
Denn: Dass unser Gebäudepark eine wesentliche Rolle bei der Erreichung unserer Klimaziele spielt, ist unbestritten. Rund 44 Prozent der Endenergie in der Schweiz fliesst in den Bau und den Betrieb von Gebäuden, gleichzeitig ist der Baubereich für etwa ein Viertel der landesweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Wir verbauen jedes Jahr 65 Millionen Tonnen Rohmaterial. Rund fünf Millionen Tonnen landen – unwiderruflich verloren – jährlich in einer Abfalldeponie. Die Baubranche als «Dreckschleuder»: Diesem Ruf gilt es entschieden entgegenzutreten – und dazu braucht es noch nicht einmal mehr den erwähnten Pionier- und Innovationsgeist. Denn zeitgemässe Lösungen liegen vor. Sie müssen nur umgesetzt werden. Sie lauten: kreislaufgerechtes Bauen, effiziente Gebäudetechnik mit erneuerbarer Energie und verdichtete Räume.
Aber das genügt nicht. Der Klimawandel ist eine globale Herausforderung. Ländergrenzen haben keine Bedeutung, genauso wenig wie Sektorengrenzen. Es bringt deshalb wenig, das Bauwesen isoliert zu betrachten. Und dass die Menschheit keinerlei CO2-Emissionen mehr produzieren wird, ist utopisch. Denn es wird (leider) immer Prozesse und Aktivitäten geben, die sich nicht vollständig «dekarbonisieren» lassen. Wollen wir unser Netto-Null-Ziel trotzdem erreichen, sind wir auf Technologien mit einer negativen Emissionsbilanz angewiesen – Technologien also, die den atmosphärischen CO2-Gehalt senken.
Und damit sind wir wieder beim Pionier- und Innovationsgeist: Die Bauwirtschaft ist nämlich prädestiniert, einen gewichtigen Beitrag zur Senkung des CO2-Gehalts zu leisten. An der Empa beschäftigen wir uns mit dem «Carbon Capture and Use»-Konzept. Der Ansatz besteht darin, der Atmosphäre in sonnenreichen Regionen CO2 zu entnehmen und dieses mit erneuerbar gewonnenem Wasserstoff in synthetische Energieträger umzuwandeln. Diese werden dann in energieärmere Regionen transportiert, wo vor ihrer Nutzung als Treib- oder Brennstoffe der Kohlenstoff in fester Form wieder abgespalten wird. Der Kohlenstoff gelangt so nicht mehr als CO2 in die Atmosphäre, sondern lässt sich zum Beispiel in der Betonproduktion nutzen. Der Atmosphäre wird also letztlich CO2 entzogen. Lässt sich dieses Konzept umsetzen, wird jede neue Betonbrücke und jeder neue Tunnel zur Minderung des CO2-Gehalts in der Atmosphäre beitragen. Wahrlich eine ingenieurtechnische Meisterleistung, wenn Sie mich fragen!