Die Begriffe Nachhaltigkeit und Digitalisierung polarisieren. Sie werden als Trendwörter angesehen, die durch ihre Inhaltslosigkeit auffallen: Heute muss alles digital und / oder nachhaltig sein. Damit haben sie sich zu wahren Kampfbegriffen entwickelt, also zu Gedankenbestandteilen, die zu gesellschaftspolitischen Spaltungen führen können. Es positionieren sich Gruppen, welche sowohl die Nachhaltigkeit als auch die Digitalisierung möglichst rasch überwunden haben möchten.
Über die Gründe, warum es so weit gekommen ist, darf gerätselt werden: Führen das Beschäftigen mit den Begriffen oder eher die sich dahinter verbergenden Herausforderungen zum Aufleben von früher gemachten, unangenehmen Erfahrungen? Sind die Begriffe so trivial, also abgedroschen
und bedeutungslos, dass sich ein Befassen mit ihnen nicht lohnt? Oder sind Digitalisierung und Nachhaltigkeit so elementar für die Zukunft der Menschheit, dass sich ein unverkrampftes Auseinandersetzen damit erst recht aufdrängt?
Ich plädiere für Letzteres und werde Sie in der mit dieser Folge startenden Kolumnenserie an meinen Überlegungen teilhaben lassen. Als Ausgangspunkt wähle ich die Theorie der Autopoiesis, welche die beiden chilenischen Neurowissenschaftler und Biologen Humberto Maturana (1928–2021) und Francisco Varela (1946–2001) für die Anwendung bei biologischen Systemen gemeinsam entwickelt haben. Unter Autopoiesis wird die Fähigkeit verstanden, sich selbst erhalten, wandeln und erneuern zu können. Diese Mechanismen haben eine grosse Gemeinsamkeit mit der Entwicklung eines digitalen Systems, einer digitalen Anwendung, denn in den dafür zu definierenden Algorithmen steckt eine grosse Portion von Autopoiesis – selbstverständlich in weit weniger vollkommener Form als in der Natur bei biologischen Systemen. Wundern kann man sich darüber kaum, denn was spricht aus Analogiegründen dagegen, dass künstliche Systeme, die eine quasi dauerhafte Abfolge von Prozessschritten ermöglichen, nicht ähnlich wie natürliche biologische Systeme aufgebaut sind? Vielleicht erstaunt es Sie, oder eben auch nicht, dass die mRNA-Impfstoffe gegen das Corona-Virus auf analogen Wirkungsweisen beruhen.
Für mich setzt sowohl die Nachhaltigkeit als auch die Digitalisierung ein möglichst symmetrisches Zusammenspiel von mindestens zwei Systemen voraus. Damit die Systeme ihre Wirkung aufrechterhalten können, darf ihre Substanz nur massvoll abgebaut werden. Da der Mensch zusammen mit der Technik, also mit Verfahren, die dank Erkenntnissen aus den Naturwissenschaften entwickelt worden sind, viel leistungsfähiger ist als ohne, besteht gegenüber einer Vielfalt von Systemen eine grosse Asymmetrie bezüglich der Einwirkungsmöglichkeiten. So müsste der Stärkere den weniger Starken durch die notwendige Sorgfalt schützen. In Abhängigkeit der beteiligten Systeme sind daraus die notwendigen Handlungen zum Wohle des Zusammenspiels aller abzuleiten.
Nach diesen ersten Vorgaben bin ich Ihnen einige Erklärungen schuldig. So werde ich nicht nur die Entwicklung der Medien von der Sprache über die Schrift und den Buchdruck bis zur Digitalisierung aufrollen, sondern auch Hans Carl von Carlowitz’ (1645–1714) angeblich erste Beschreibung der Nachhaltigkeit. Ich hinterfrage alle Begebenheiten kritisch und zeige Ihnen die Gemeinsamkeiten und die Folgerungen für Ihre Projekte auf.
Ich hoffe, Sie bleiben dran, wenn ich die beiden publizistischen Steckenpferde der bauRUNDSCHAU, um die Worte von Chefredaktor Georg Lutz zu benutzen, verbinde: die Digitalisierung und die Nachhaltigkeit. Bis zur nächsten Ausgabe.