Was bringt die Zukunft in der Weiterbildungsbranche? Sechs Thesen, beziehungsweise Behauptungen, auf dem Prüfstand.
Eines der Phänomene 2020 war der Durchbruch der Wissensvermittlung mittels virtuellem Unterricht. Kaum ein Weiterbildungsanbieter kann es sich heute noch leisten, nicht fit zu sein im Bereich Online-Learning oder -Coaching. Aber ein Ausdruck macht nun nach bald einem Jahr Online- und Home-Schooling die Runde: «Zoom Fatigue». Damit bezeichnet man die Motivationsproblematik und den Überdruss den gesamten Wissenstransfer, alle Besprechungen, Meetings und Interaktionen über Zoom, Teams, Skype und andere Videokonferenzsysteme laufen zu lassen. Präsenzunterricht und der direkte Kontakt mit den Mitmenschen fehlt vielen. Tatsache ist – der Paradigmenwechsel im Umgang mit modernen Online-Hilfsmitteln hat bei allen Beteiligten zwangsläufig eine Steigerung der Anwender- und Umsetzungskompetenz verursacht. So kann behauptet werden, dass 2020 bei den Studierenden und Seminarteilnehmenden die Büchse der Pandora geöffnet wurde: Der Wunsch nach durchgehendem Online-Coaching und -Unterricht. Dies könnte für eine «Disruption» mit komplettem Umdenken in den Weiterbildungsinstituten sorgen. Über diese These und weitere Behauptungen haben wir mit Lernwerkstatt Olten CEO Daniel Herzog gesprochen und sie mit Fakten und seinen Erfahrungswerten abgeglichen.
Behauptung 1: Digitalisierung schreitet rasant voran
«2020 wurde bei den Seminarteilnehmenden und Anbietern die Büchse der Pandora geöffnet. Die Erfahrungen mit virtuellem Unterricht und Online-Coaching wird ganz neue Geschäftsmodelle zu Tage fördern. Corona erweist sich als Katalysator für die Digitalisierung und Virtualisierung der Bildung. Virtueller und hybrider Unterricht und Online-Coaching werden auch nach der Pandemiezeit ein Trend bleiben.» Auch in den Schulen. In Deutschland hat der Digitalverbands Bitkom eine repräsentative Umfrage bei 500 Schülern durchgeführt zum Thema vernetzte Schulen, virtuelle Klassenzimmer und adaptives Lernen: Die Digitalisierung kann – so wurde deutlich – den Unterricht verbessern, den Lernerfolg steigern und die begrenzten Lehrkapazitäten effizienter einsetzen. Demnach sehen 83 Prozent in der Digitalisierung eine Chance für die Schulen und Bildungsanbieter. Lediglich jede/r Achte betrachtet sie als ein Risiko. Investitionen in digitale Technologien und deren Anwendung haben oberste Priorität – und sind gemäss Umfrage sogar noch wichtiger als andere drängende Herausforderungen. So ist für 59 Prozent der fehlende Einsatz digitaler Medien das dringlichste Problem an ihrer Schule. Auch eine schlechte technische Ausstattung wird von 56 Prozent beklagt.»
Behauptung 2: Neue Angebote entstehen
«Corona zwingt die Anbieter flexibel und innovativ zu denken und zu handeln. Neue Angebote rund um die Digitalisierung sind bereits am Entstehen. Klassische Angebote werden durch neue krisenresistentere Inhalte und Angebotsfirmen ersetzt.»
Behauptung 3: Anbieter verschwinden
«In der Weiterbildungsbranche wird ein Anbietersterben stattfinden. Wie dramatisch sich dies offenbart, ist noch offen. Je länger die Corona-Krise andauert, desto mehr Schulen der Erwachsenenbildung werden vom Markt verschwinden. Die Anbieterbefragung des Schweizerischen Verbandes für Weiterbildung SVEB zeigt auf, dass die Anbieter Umsatzeinbussen von durchschnittlich knapp 30 Prozent erwarten. Und da sind die erneuten Corona-bedingten Einschränkungen noch nicht berücksichtigt. Die Hilfe von Bund und Kantonen wird nicht reichen den Konkurs von privaten Bildungsanbietern abzuwenden.»
Behauptung 4: Das Comeback der Live Performer
«Aktuell bereitet sich in vielen Branchen eine «Zoom-Fatigue aus. Der physische Austausch in Meetings, am Arbeitsplatz, sowie im Präsenzunterricht werden vermisst. Vorübergehend schlägt nach Corona wieder die Zeit der «Live-Performer» unter den Dozierenden. Bald wird man sich aber auch wieder an die Vorzüge des virtuellen Unterrichts zurück erinnern. Hybrider Unterricht – also die wahlweise Teilnahme im Seminarraum oder via Videokonferenzsystem, hat hier durchaus eine grosse Zukunft vor sich.»
Behauptung 5: Lernen wird weiter individualisiert
«Vor allem die betriebliche Aus- und Weiterbildung fordert schon seit Jahren die Individualisierung der Bildungsangebote. Bildungsanbieter arbeiten an Settings, die ein zeit- und ortsunabhängiges Lernen ermöglichen. Lernangebote sollen dann zur Verfügung stehen, wenn neue Kompetenzen benötigt werden. Tempo und Strategie der Know-how-Aneignung soll jede Person selber steuern können. Die Erfahrungen im Rahmen der Corona-Krise zeigen: Dies ist möglich. Individualisiertes Lernen wird die Zukunft prägen, in der Schweiz zuerst in der berufsorientierten Weiterbildung, wo keine oder wenige Regulationen bestehen. Etwas länger dauern wird es auf Sekundarstufe 2 und im Tertiärbereich, wo Gesetzesvorgaben, Bildungsverordnungen, Rahmenlehrpläne und Bildungsreglemente bestehen. Die Anzahl standardisierter Bildungsangebote im Klassenverband ohne grössere individualisierte Anteile wird immer mehr zurückgehen.»
Behauptung 6: Die Bildungsschere öffnet sich
«Wie in allen Branchen, wo die Digitalisierung Einzug hält, ergeben sich daraus Chancen aber auch Gefahren. Während auf der einen Seite viele Menschen vom vereinfachten und individualisierten Bildungszugang profitieren, wird auf der anderen Seite die Bildungsabstinenz erhöht. Nicht alle Menschen sind Technologie-affin und wollen sich auf die neuen Settings einlassen. Sie werden zu Bildungsflüchtlingen, welche die immer weniger werdenden, reinen Präsenzveranstaltungen besuchen. Oder sie verabschieden sich ganz aus der Weiterbildung.»