Axpo-CEO Christoph Brand über die Herausforderungen bei der Stromversorgung
Die Axpo ist die grösste Stromanbieterin der Schweiz und steht angesichts der aktuellen Krise vor grossen Herausforderungen. Was Unternehmen tun können, um Strom zu sparen, warum die Energiewende in der Schweiz stagniert und wie die Energiezukunft aussehen sollte, erklärt Axpo-CEO Christoph Brand im Interview.
PRESTIGE Business: Herr Brand, das KMU Swiss Symposium steht unter dem Motto «Grenzen erfahren». Wie adaptieren Sie dieses Motto auf die Axpo? Christoph Brand: Alle – Unternehmen und Menschen – stossen immer wieder an Grenzen. Entscheidend ist, wie man damit umgeht. Für mich heisst «Grenzen erfahren» immer auch, diese zu verschieben oder gleich ganz zu überwinden. Unsere rund 5000 Mitarbeitenden machen das jeden Tag. Sie arbeiten über Landesgrenzen hinweg zusammen, da Axpo in über 30 Ländern aktiv ist. Sie holen für unsere Kunden das Beste heraus, indem sie über Disziplingrenzen hinweg zusammenarbeiten. Sie bieten massgeschneiderte Energielösungen an, indem sie Stromproduktion, Stromhandel und Stromvertrieb kombinieren. Ich bin beeindruckt, wie sie immer wieder die sprichwörtliche Extrameile gehen und – vermeintliche – Grenzen überwinden.
Darf oder sollte man sich als Unternehmen mit Grenzen auseinandersetzen? Oder sollte man eher über die Grenzen hinwegschauen? Gerade auch in der Energieversorgung gilt es, Grenzen zu überwinden – geografische, technologische und ideologische. Es gibt nicht DIE Technologie, welche uns Versorgungssicherheit bringt. Wasserkraft und Photovoltaik (PV) müssen in der Schweiz eine zentrale Rolle spielen, ergänzt mit CO2-neutralen Gaskraftwerken, Wind und Biomasse. Die Kernkraftwerke sollten so lange betrieben werden, wie sie sicher sind. Und es braucht gewisse Importe, da die Schweiz keine Insel ist und Autarkie unbezahlbar wäre. Deshalb müssen wir das Verhältnis zur EU regeln und über die eigenen Landesgrenzen hinwegschauen.
Aktuell ist das Thema Strom und vor allem die Stromknappheit in aller Munde. Wird die Schweiz im Winter bezüglich Strom an ihre Grenzen kommen? Für den kommenden Winter haben die Risiken in den letzten Monaten tatsächlich zugenommen. Stillstehende Kernkraftwerke in Frankreich, absehbar tiefere Füllstände der Schweizer Speicherseen und natürlich die Gasknappheit aufgrund von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zählen zu den Gründen, warum es knapp werden könnte. Abhilfe sollen verschiedene kurzfristige Massnahmen schaffen. Dazu zählt etwa die Wasserspeicherreserve, in deren Rahmen ein Teil des Wassers in Speicherseen für Notfälle zurückbehalten werden soll.
Was können Schweizer Unternehmen tun, um sich – auch im Hinblick auf steigende Kosten – auf mögliche Stromengpässe vorzubereiten? Gerade auf Unternehmen haben Stromengpässe tiefgreifende Auswirkungen. Die Ostral, die Organisation für Stromversorgung in ausserordentlichen Lagen des Bundes, gibt dazu verschiedene Empfehlungen. Zentral dabei ist die Frage, welche Optionen ein Unternehmen hat, um den Stromverbrauch vorübergehend oder dauerhaft zu verringern. Zum Beispiel: Welche Tätigkeiten können reduziert betrieben oder temporär eingestellt werden und welche Vorbereitungen braucht es dazu? Oder: Gibt es kritische Geschäftsprozesse, die zwingend weitergeführt werden müssen? Dann kann sich eine Notstromversorgung lohnen. Je nach Unternehmen ergibt sich ein anderes Bild. Zentral für alle Unternehmen aber ist, frühzeitig mit den Vorbereitungen zu beginnen.
Die Axpo ist die grösste Stromanbieterin der Schweiz. Wie geht es weiter mit der Axpo? Wo wollen Sie hin und was sind Ihre Ziele? Wir haben die Ambition, der Gesellschaft mit innovativen Energielösungen eine nachhaltige Zukunft zu ermöglichen. Dabei verfolgen wir eine klare Wachstumsstrategie. International fokussieren wir uns auf den Ausbau der erneuerbaren Energien sowie das Grosskunden- und Handelsgeschäft. In der Schweiz stärken wir unsere führende Rolle beim Übergang in eine CO2-freie Energiezukunft. Neben Wasserkraft, Wind- und Solarenergie investieren wir auch in Batteriespeicher und Wasserstoff. Dabei setzen wir auf modernste Technologien und schaffen so massgeschneiderte Energielösungen. Unsere Ziele sind ambitioniert: International wollen wir bis 2030 rund zehn Gigawatt Photovoltaik und drei Gigawatt Windkraft zubauen. Und in der Schweiz werden wir über unsere Tochtergesellschaft CKW bis 2030 rund eine Milliarde Franken in Photovoltaik, Windkraft, Biomasse, Wasserkraft und weitere Technologien investieren.
Für welche Werte steht die Axpo? Unsere Unternehmenswerte sind Zuverlässigkeit, Nachhaltigkeit und Innovation. Daneben stehen wir für einen offenen, partnerschaftlichen Dialog mit allen Anspruchsgruppen ein.
Nachhaltigkeit spielt heute eine wichtige Rolle. Wie setzt sich die Axpo mit diesem Thema auseinander? Wer als Unternehmen nicht nachhaltig wirtschaftet, wird keinen Erfolg haben. Denn wir alle stehen vor globalen Herausforderungen, die wir nur mit nachhaltigen Lösungen bewältigen können. Gerade das Energiesystem verändert sich fundamental. Digitalisierung, Dekarbonisierung und Dezentralisierung sind zentrale Megatrends. In dieser tiefgreifenden Transformation wollen wir den langfristigen Unternehmenserfolg sichern. Nachhaltige Lösungen sind dabei unser Kompass. Wirtschaftlich haben wir eine starke Basis, davon können wir gerade in so turbulenten Zeiten wie diesen profitieren. Bei den erneuerbaren Energien wachsen wir stetig weiter und stärken so die ökologische Nachhaltigkeit des Unternehmens. Und als relevantes Unternehmen für die Energieversorgung und als verantwortungsvolle Arbeitgeberin nehmen wir eine wichtige gesellschaftliche Verantwortung wahr.
Die Energiewende kommt, doch wie geht es voran in der Schweiz? Leider viel zu langsam. Der notwendige Ausbau der erneuerbaren Energien ist blockiert. Das hat zwei Gründe: Erstens bekommt man kaum Bewilligungen für den Bau von Anlagen und wenn, dann erst nach teilweise jahrzehntelangen Rechtsstreiten und zähen Bewilligungsprozessen. Zweitens lohnt es sich nicht, in der Schweiz zu investieren, weil die Schweiz einerseits sehr hohe Kosten hat, andererseits aber im Gegensatz zu allen anderen modernen Volkswirtschaften den Ausbau wenig fördert.
Sie sind neu im Verwaltungsrat der AMAG, eines Unternehmens, das den Mobilitätswandel in der Schweiz aktiv mitgestaltet und vorantreibt. Arbeiten Sie zusammen auch an Grossprojekten oder Ähnlichem? Energieversorgung und Mobilitätswandel haben tatsächlich Gemeinsamkeiten. Themen wie E-Mobilität, Speichertechnologien, Netzausbau oder Wasserstoff sind für beide bedeutsam. Sollten sich hier gemeinsame Themen oder Synergien ergeben, könnte ich mir eine Zusammenarbeit unserer Unternehmen durchaus vorstellen.
Wie zufrieden sind Sie mit dem Ausbau an PV-Anlagen? Auch bei den PV-Anlagen geht es viel zu langsam. Für Grossanlagen fehlen teilweise die gesetzlichen Grundlagen. Wir konnten unsere Pionieranlage AlpinSolar nur realisieren, weil sie auf einem bestehenden Staudamm erstellt wurde. Grosse Freiflächenanlagen sind aktuell gesetzlich nicht vorgesehen – und die jüngst angekündigten Projekte im Wallis stehen bereits in starkem Gegenwind. Zudem bietet der aktuelle Förderrahmen fast nur Anreize zum Bau von kleinen Anlagen, die nicht das ganze Dach abdecken. Hausbesitzer decken damit nur ihren Eigenbedarf, denn nur das rentiert sich. Was sich kaum rentiert: überschüssigen, eigenproduzieren PV-Strom ins Netz einzuspeisen.
Braucht die Schweiz für ihre Stromversorgung nicht auch mehr Wasserkraftwerke und zum Beispiel Windturbinen? Es braucht einen Mix von sich ergänzenden Kraftwerksarten. Grundlage bleibt hierzulande die Wasserkraft, auch wenn ihr Anteil aufgrund von Umweltauflagen eher zurückgehen wird. Das ist wichtig: Wasserkraft hat in der Schweiz kein relevantes Ausbaupotenzial mehr, daher ist die einseitige Debatte nur über Wasserkraft nicht zielführend. Der zweite grosse Pfeiler wird Photovoltaik werden, und zwar sowohl auf den Dächern und an Fassaden als auch im Rahmen von sehr grossen Anlagen in der Fläche, idealerweise auch im alpinen Raum, wo die Sonne insbesondere im Winter mehr scheint. Weil Photovoltaik im Winter aber nur ein Viertel bis ein Drittel der Sommerproduktion liefert, braucht es für den Winter noch weitere Ergänzungen, und da kommen Windkraft und Biomasse ins Spiel. Und: Weil wir auch einen Teil der Energie völlig unabhängig vom Wetter zur Sicherung und Steuerung haben müssen, werden wir nicht um sogenannte Bandenergiequellen herumkommen. Die offensichtliche Lösung sind Gaskraftwerke, die aber ab den Vierzigerjahren nicht mit russischem Erdgas, sondern vielmehr mit CO2-neutralen anderen Gasen betrieben werden, beispielsweise mit Wasserstoff. So wäre die Energiewende machbar – sofern der nötige Ausbau endlich schnell genug erfolgen kann.